Babas Welt
Dienstag, 8. Dezember 2009
Kapitel 8

Kapitel 8

Jenseits der Zeit

Er – oder eher es, ich erkannte beinahe sofort, dass das Wesen vor uns weder männlich noch weiblich war, ja dass diese Unterscheidung überhaupt nicht darauf angewendet werden konnte - stand vor uns und sah uns an. Obwohl ich es deutlich sah, es mit allen meinen Sinnen wahrnahm, insbesondere mit meiner Clangabe, konnte ich es nicht beschreiben, keine Worte dafür finden, wie es aussah und auf mich wirkte. Ich konnte erst recht keine Gefühle von ihm ausmachen, obwohl ich deutlich spürte, dass welche von ihm ausgingen, aber sie erschienen mir nur fremdartig. Es war einfach da. Es hatte kein richtiges Gesicht, keine definite Gestalt, als ob es von Nebeln verhüllt wurde, die sich auflösten, sobald man genauer hinsah oder als blicke man in einen Spiegel aus Nebel ohne ein Spiegelbild zu sehen. Es war so wenig fassbar wie Rauch und so unbestreitbar solide wie der Fels. Da war nichts, was man klar erkennen konnte, und doch überwältigte mich seine Präsenz mit ihrer fremdartigen Intensität. Es bestätigte, was ich über die Jenseitigen gelernt hatte, dass sie kein Gesicht hatten - oder keines, in das man gefahrlos blicken konnte. Ich brachte es auch schon so nicht über mich es längere Zeit anzusehen, genauso wenig wie ich meine Augen für länger von ihm abwenden konnte. Und ich spürte wie der Jenseitige mich fixierte, durch mich hindurch sah, bis nichts mehr in mir vor ihm verborgen blieb. Es war als wären die Augen hinter den unsichtbaren Nebeln starr auf uns gerichtet, ohne ein einziges Mal zu blinzeln.
Es sprach schon zu Yenda, bevor ich überhaupt merkte, dass es sprach. Es sprach ohne Worte und was es sagte, erreichte mich nicht über meine Ohren, sondern entstand wie meine eigenen Gedanken in meinem Bewusstsein, mit einer kaum spürbaren Verzögerung, solange es zu Yenda sprach und mir wurde klar, dass es mich über Yendas Gedanken oder Gefühle erreichte. Es gab dabei keine Stimme - oder keine, die ich hören konnte, nur die Worte oder vielmehr ihre Bedeutung, als würden sie direkt in mein Gehirn geschrieben.
*Du bist ... Du bist hier. Du warst schon einmal hier.*
„Ja. Ich bin zurück. Ich konnte nicht anders.“ Ich konnte noch nicht einmal mehr unterscheiden, ob Yenda laut sprach oder seine Antwort nur dachte. Es machte keinen Unterschied.
*Du wolltest … nicht anders.*
„Ja. Ich komme um meine Schwester.“
Meine Augen hatten sich so weit an das Licht gewöhnt, dass ich um uns herum vage Schemen ausmachen konnte, nur um weniges weniger hell als das grelle Licht. Schatten in menschlicher Form - aber nicht nur. Yenda sah das Jenseitige unverwandt an, sein Gesicht starr und weiß wie eine Maske.
*Deine Schwester?*
„Meine Erwählte Schwester. Tarlil Isan-ne-Dariv-hel Aridys von Ylkan. Sie ist hier.“
*Ja. Sie ist. Sie ist … hier.*
Yenda schob das Kinn vor und holte tief Atem.
„Ich will meine Schwester sehen. Und mit ihr sprechen.“
*Sie darf nicht von hier fort.*
„Ich will sie sehen“ wiederholte Yenda stur. Und er schob mich mit leichtem Druck auf meinen Rücken ein klein wenig nach vorne, nur gerade soviel um das Jenseitige auf mich aufmerksam zu machen. Als es mich ‚ansah’ fühlte ich mich auf einmal noch um vieles hilfloser und entblößter als auf dem Pranger. Das Jenseitige studierte mich für einen langen Moment.
*Du bist… aus freiem Willen ... hier?*
Ich dachte erst ich würde nicht antworten können und merkte dann, dass ich es bereits getan hatte - als hätte es die Antwort aus meinen Gedanken gesaugt.
„Ja.“
Das Jenseitige stand dicht vor mir, ohne dass ich gesehen hatte, wie es sich bewegte - egal wo es stand, es schien jedes mal als hätte es immer schon dort gestanden. Und obwohl ich ihm so wie Yenda gerade in die Augen sehen konnte oder das was ich für seine Augen hielt, schien es mich zu überragen, ja fast in sich einzuschließen. Allein Yendas Hand in meiner bewahrte mich davor, mich völlig in meiner Angst zu verlieren.
Es gab eine Pause. Das Jenseitige fixierte mich und ich versuchte so gut es ging ihm standzuhalten. Ich sah Gedanken wie Bilder in meinem Kopf, die ich nicht willentlich selbst hervorgerufen hatte. Meine Tante in voller königlicher Tracht vor der balehsischen Ratsversammlung. Der Königspalast aus einiger Entfernung gesehen, mit der Abendsonne dahinter, die sich in den großen goldenen Fenstern spiegelte. Der Blick vom Mondteichhügel am Fuß der Berge über die Weinfelder bis zum Balianntal. Die heilige Flamme von Baleh in der großen silbergoldenen Mondschale im Haus der Vier in Balehstadt. Und Nakur, wie ich ihn als Kind in dem Wahrtraum gesehen hatte, schwarz gekleidet, mit der weißen Strähne im Haar, bleich und ausgezehrt wirkend, vor der Ratsversammlung der Kerlenel und Clanältesten bei seiner Abschiedsansprache.
Das Jenseitige wandte sich wieder Yenda zu.
*Sie ist es. Die ich/wir gesucht habe/n*
Es war das erste Mal, das das Jenseitige von seiner eigenen Person sprach und irgendwie schien es dafür kein Wort in unserer Sprache oder sogar Vorstellung zu geben, ein Wort, das Singular und Plural in einem war, einer von mehreren und mehrere in einem. Selbst das Paarwort für Yl, die Zwei-in-Einem schien es nicht zu treffen. Die Jenseitigen waren viele in einem und sie sprachen mit einer Stimme - aber als viele.
Yenda zog mich näher zu sich heran, bis ich dicht bei ihm stand, dem Jenseitigen halb abgewandt.
„Meine Schwester“ sagte er hart über meine Schulter hinweg. Seine Augen wirkten in dem Licht grau wie Steine.
Das Jenseitige wandte sich leicht zur Seite - und zwei oder drei Schritte neben ihm, als hätte sie schon die ganze Zeit dort gestanden und wäre erst jetzt für uns sichtbar geworden, stand eine Frau mit gleißend silbern schimmerndem langem glatten Haar, das ihr fast bis zu den Kniekehlen reichte.
Die Tarlil in Silber. Aus Yendas Beschreibungen und aus der Art, wie er bei ihrem Anblick erstarrte und den Atem anhielt, erkannte ich, dass sie es wirklich war - Aridys, seine erwählte Schwester. Und doch konnte oder wollte etwas in mir nicht glauben, dass es tatsächlich die ylkanische Adoptiv-Königstochter war, die dort regungslos stand und uns aus tiefen, dunklen und völlig ausdruckslosen Augen anblickte. Auf ihre eigene Art wirkte sie noch fremder und unheimlicher auf mich als das Jenseitige. Und nach dem ersten Schock erkannte ich auch allmählich warum - ich konnte nichts außer ihrem Anblick wahrnehmen, keine Wärme, keine Gefühlsströmung, noch nicht einmal ihren Atem. Als ob keine Frau dort stand, sondern eine Statue.
Yenda und Aridys sahen sich schweigend an und ich konnte nicht erkennen, was in Yenda vorging, er hatte sich wieder abgeschirmt. Er ließ ganz langsam seinen Arm von meinen Schultern gleiten, nahm mich an der Hand und trat dann dicht vor seine Schwester hin. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie einen halben Kopf größer war als er. Sie war noch schmaler gebaut als er, beinahe unmenschlich dünn, und leichenhaft blass. Ich sah, dass sie barfuss war und nur eine enganliegende schwarze Tunika trug, ihre Haare bedeckten ihre Gestalt beinahe wie ein Umhang. An ihrem Hals schimmerte die Wappenkette im gleißendem Licht. Ihr Gesicht war immer noch schön - ich konnte darin noch das Gesicht erkennen, dass zu einer anderen Zeit, unter der Sonne und unter anderen Menschen durch seine Schönheit Aufsehen erregt haben musste, als es noch das Gesicht einer lebenden, atmenden und fühlenden Frau war. Das Gesicht war immer noch da, aber es war wie ausgeblutet und erkaltet, und ich sah eine kaum sichtbare Linie um den schönen Mund und die Nasenflügel, die ihm einen fast grausamen Zug verliehen, so wie auch ihre dunklen fast toten Augen.
Yenda streckte seine andere Hand nach ihr aus und bewegte seine Lippen, aber ich konnte das Wort nicht hören, das er nur formte ohne es laut auszusprechen. Es hätte ein Name sein können, vielleicht ihr geheimer Name, den nur er kannte. Aridys’ Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber ihre Augen weiteten sich fast unmerklich und dann streckte sie ihre Hand aus, mit gespreizten Fingern. Erst als sich ihre Fingerspitzen berührten, merkte ich, dass Yenda meine Hand losgelassen hatte und auch seine andere Hand seiner Schwester entgegen streckte. Als sich ihre Handflächen berührten, verschränkte Yenda seine Finger mit ihren. Sein Gesicht war angespannt und immer noch fast ausdruckslos, aber es schien als käme durch seine Berührung etwas Leben in Aridys, als ob sie seine Wärme in sich aufsaugte. Sie öffnete die Lippen - ihre Zähne waren blendend weiß und erschienen mir sehr scharf - und wie Yenda formte sie lautlos ein Wort. Die beiden näherten sich einander an, bis sie so dicht voreinander standen, dass sich ihre Körper berührten. Yenda starrte seiner Schwester in die Augen, als wollte er ihre Seele dahinter erkennen und dann senkte sie den Kopf etwas und legte ihre Stirn an seine und er schloss die Augen.
Ich spürte das Jenseitige neben/hinter mir und wagte nicht es anzusehen, wagte kaum zu atmen. Etwas in mir wollte nach Yenda schreien, ihn von seiner Schwester abbringen, doch ich brachte es nicht über mich.
*Bist du einverstanden?*
Ich verstand nicht gleich, dass das Jenseitige mit Yenda sprach anstatt mit mir, erst als dieser den Kopf wandte und die Augen öffnete. Und stumm nickte, ohne mich anzusehen.
Als das Jenseitige vor mich trat und auf mich herabsah, blickte Yenda wieder seiner Schwester in die Augen. Und sie lächelte, fast unmerklich, als könne sie nicht recht glauben, was geschah. Dann sah ich dem Jenseitigen in die Augen - die unsichtbaren Augen hinter den Nebeln im Spiegel - und als es mir nahe kam und mich einhüllte, mich umgab, als würde es mich in sich aufnehmen, war ich wie gelähmt und zuckte noch nicht einmal vor der Berührung zurück. Ich spürte meinen Körper kaum noch, seit Yenda meine Hand losgelassen hatte, und nun war es als ob ich mich immer weiter in mich selbst zurückziehen würde, tief in mein Innerstes, immer weiter entfernt von dem Licht um mich herum wie eine Maus in ihr Loch. Ich verstand nicht mehr, was vorging und warum und weigerte mich zu glauben, was doch so eindeutig erschien. Das Jenseitige drückte mich nach unten, bis ich in die Knie sank und schließlich halb auf dem Boden lag, und hüllte mich in sich ein. Ich sah Yenda und Aridys nicht weit von mir stehen, Yenda halb von mir abgewandt, und immer noch mit verschränkten Händen. Ich versuchte noch ein letztes Mal etwas zu sagen oder wenigstens einen Laut hervorzubringen und schaffte es nicht einmal meine Lippen zu bewegen. Aridys öffnete die Augen und unsere Blicke trafen sich. Ihre Augen blieben weiter ausdruckslos und kalt, aber nun spürte ich etwas aus ihr zu mir durchdringen. Es war schwer auszumachen, etwas wie Befriedigung, das Gefühl, das jemand hat, wenn sich eine hoffnungslose Sache doch zum Guten wendet, und unter diesem Gefühl strömte noch etwas anderes, eine Art kalte, erbarmungslose Gier, untermischt mit vagem Hass. Nur für einen Sekundenbruchteil offenbarte sich mir dieses Gefühl, dann nahm das Jenseitige von mir Besitz.
Es umgab mich wie eine Wolke, ich tauchte in es ein wie in Wasser und die Welt um mich herum versank. Da war nur noch die gleißende undurchsichtige Helligkeit um mich herum und dann in mir. Ich hatte das Gefühl erdrückt zu werden und zu ersticken, tausendmal schlimmer als in jedem Alptraum. Meine völlige Hilflosigkeit und ein tiefer, unbeschreiblicher Abscheu vor den unsagbar fremden und abstoßenden Gefühlen, die von allen Seiten auf mich eindrangen, verstärkten noch meine Verzweiflung und Todesangst. Ich konnte mich nicht wehren, es gab nichts, was ich dem Jenseitigen entgegensetzen konnte, keinen Schutz, keinen Schild - ich fand in meiner Panik auch keine Kraft mehr in mir, um mir meine eigenen Schilde aufzubauen und ich spürte nirgendwo in oder an mir etwas, das auch nur entfernt als Schutz dienen könnte. Ich wusste dann, dass es keinen Schutz gab, nie gegeben hatte, und dass das Jenseitige ungehindert von mir Besitz ergreifen würde, so wie mit Aridys, und mich zu seinem Geschöpf machen, oder noch schlimmer, meine Seele verzehren und auslöschen würde …
Auf einmal ließ das Jenseitige mich los und zog sich zurück. Erst als ich meine Augen öffnete, merkte ich, dass ich sie schon seit geraumer Zeit fest zusammengekniffen hatte. Ein Mann kniete an meiner Seite, dicht über mich gebeugt und hielt mich in seinen Armen. Er hatte schwarze glatte Haare, mit einer weißen Strähne rechts über Stirn, ein schmales Gesicht und dunkle, etwas schrägstehende Augen. Er lächelte mich an und strich mir sanft die Haare aus dem Gesicht, und genau wie bei dem Jenseitigen hörte ich ihn in meinem Kopf sprechen, als würden die Worte von mir gedacht.
*Hab keine Angst. Es geschieht dir nichts. Vertrau mir.*
Es war Nakur, mein Beschützer, der Held meiner Kindheit, der gekommen war, um mich zu retten. Ich konnte einfach nicht glauben, dass er es wirklich war, dass er doch noch existierte, und während ich mich noch in meiner Todesangst an ihn klammerte, zweifelte ich schon wieder daran, dass er wirklich war und nicht nur ein Geist, oder sogar nur eine Einbildung, geboren aus einem Wunschtraum in meinem tiefsten Inneren. In meiner Verwirrung konnte ich meine Clansgabe nicht einsetzen, aber er fühlte sich warm und lebendig an.
*Nakur .. Hilf mir... *
*Kämpfe nicht dagegen an. Es wird alles gut. Lass einfach los.*

Er legte seine Hand über meine Augen. Die Helligkeit verschwand und es wurde dunkel um mich. Das Jenseitige kam wieder und Nakur war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Ich kniff die Augen wieder fest zusammen und zwang mich dazu stillzuhalten und mich dem Jenseitigen zu überlassen, so wie Nakur es mir geraten hatte. Es war sehr schwer, ich hatte das Gefühl zu ertrinken, mich immer weiter aufzulösen ...
Und dann, endlich, geschah es. Ich spürte, wie sich tief in mir meine Panik und der Abscheu mit meinem letzten Rest von Überlebenswillen vereinten und dieser sich immer mehr verdichtete, bis ein winziger, glühender Punkt entstand, der immer heller und heller wurde, bis schließlich ein Funken daraus übersprang. Und zu einem Flämmchen wurde. Dann wurden aus dem einen Flämmchen zwei, dann immer mehr und bald waren es schon viele kleine Flämmchen, die über mich hinweg glitten und sich immer weiter ausbreiteten, bis sie mich ganz bedeckten wie ein Gewand aus Feuer. Ich spürte keine Hitze und keine Verbrennung, nur Wärme und Licht und eine Art staunende Freude. Die Flamme kam aus mir heraus, sie war ein Teil von mir, auch wenn ich es kaum glauben konnte.
Die Dunkelheit und die Panik wichen von mir. Durch die Flammen hindurch sah ich auf das Jenseitige und spürte von ihm den gleichen Hunger auf mich überströmen wie zuvor von Aridys, ein verzweifeltes schier unstillbares Verlangen, eine verzehrende Sehnsucht - die nun endlich gestillt wurde. Ein Ziel, das endlich, fast wider Erwarten erreicht war. Das Feuer griff auf das Jenseitige über und setzte es in Flammen, und es hieß die Flamme willkommen und löste sich darin auf, ließ sich widerstandslos verbrennen und ich spürte keinen Schmerz von ihm ausgehen, keinen Widerstand, keine Todesangst - ganz im Gegenteil, nur reine Freude, ja Entzücken, Erleichterung und ein tiefes, erwartungsvolles Einverständnis. Ich spürte es noch wie ein Echo in mir, als von dem Jenseitigen schon keine Spur mehr zurückgeblieben war.
Die Flammen wurden kleiner und zogen sich langsam zurück. Ich nahm langsam die Welt um mich herum wieder wahr und sah schließlich Yenda nahe bei mir stehen. Er war immer noch halb Aridys zugewandt, aber nun drehte er das Gesicht zu mir und statt Aridys nachzugeben, die ihn wegziehen wollte, machte er sich von ihr frei und kniete bei mir nieder. Er hielt mir das Gesicht zugekehrt, aber sah mich nicht an und stützte seine Hände auf die Knie, ohne mich zu berühren, als ob er auf etwas warten würde. Er schloss die Augen und presste die Lippen bis auf einen schmalen Strich zusammen und atmete tief und stoßweise. Aridys stand hinter ihm, außer Reichweite und starrte auf seinen Hinterkopf, als wollte sie ihn allein mit ihrem Blick zu sich ziehen. Für einen Moment wirkte sie fast hilflos, ungeduldig und trotzig wie ein Kind. Und dann, endlich, trat sie vor und streckte ihre Hand nach ihm aus.
Yenda wandte sich ihr zu und griff nach ihrem Arm. Für einen Moment sah er zu ihr hoch und schloss langsam seine Finger fest um ihr Handgelenk. Und dann, ohne den Blick von ihr abzuwenden, griff er hinter sich und legte seine andere Hand auf meinen Bauch, über den immer noch die Flämmchen züngelten.
Ich wollte schreien, aber brachte keinen Laut heraus und konnte mich nicht einmal bewegen, geschweige denn die Flamme zurückhalten. Eine kleine Flammenzunge lief rasend schnell über Yendas Hand an seinem Arm hinauf, teilte sich an seiner Schulter und floss über seinen Rücken und seine Brust, auf den anderen Arm und von dort aus zu Aridys. Wie mir schienen ihm die Flammen nichts anhaben zu können, sie spielten über den Stoff seines Hemdes ohne Spuren zu hinterlassen und leckten harmlos über seine Haut an seinen Händen und an seinem Hals. Ein Seitenarm der Flammenspuren züngelte an seinem Hals bis zu seinem Ohr und den Haaren darüber hinauf und verlor sich dann wieder. Yenda presste seine Hand auf meinen Bauch und umklammerte Aridys’ Arm mit seiner anderen Hand wie mit einem Schraubstock, dabei hielt er den Kopf gesenkt und die Augen fest zusammengekniffen.
Aridys wich zurück soweit sie konnte und starrte verständnislos auf die Flämmchen, die von seiner Hand auf ihren Arm übergingen. Für einen langen atemlosen Moment geschah nichts, dann zuckte eine blendendhelle weißglühende Flamme empor und hüllte Aridys ein, so schnell, dass ihr fast keine Zeit mehr zum schreien blieb. Yenda wandte sich mit verzerrtem Gesicht ihr zu und ich spürte sein qualvolles Schluchzen mehr als das ich es hörte. Sein Schmerz strömte zu mir über und mischte sich mit meinem Entsetzen, und ich konnte immer noch nicht schreien oder um mich schlagen und das steigerte meinen Terror noch mehr. Die Flamme wurde immer größer, bis an Aridys’ Stelle nur noch eine Feuersäule zu stehen schien. Auf einmal fühlte ich mich in Yendas Alptraum im Grenzhof versetzt, wo ich den gleichen fast unmenschlichen Todesschrei gehört hatte wie jetzt. Yenda taumelte hoch und streckte seine Arme zu der Flammensäule aus, griff hinein, als wollte er seine Schwester doch noch daraus befreien oder ihr in die Flammen folgen - aber da war schon nichts mehr von ihr da, wie das Jenseitige löste sie sich in den Flammen auf, wurde eins mit dem Feuer, bis nur noch das Feuer da war, und auch die Flammen in sich zusammensanken, zu einer kleinen Flamme am Boden zu Yendas Füßen wurden. Er kniete nieder und hielt seine Hände in die Flamme, bis sie wie Wasser aus seinen Fingern rann und schließlich ganz verschwand. Seine Finger spreizten sich über den Boden, als wollte er den letzten Rest der Flamme darin aufhalten, doch schon einen Herzschlag später waren sie vollständig verschwunden und es schien, als hätte es sie nie gegeben.
Yenda starrte auf seine Hände nieder und verharrte regungslos. Das lähmende Entsetzen wich von mir und ich merkte, wie es um uns wieder dunkler wurde. Von allen Seiten näherten sich uns die Schatten der Dunkelheit und das grelle, weißglühende Licht nahm immer mehr ab, bis es zu einer Art goldenen Dämmerschein wurde, wie von Kerzen irgendwo weit über uns.

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