Babas Welt
Sonntag, 20. Dezember 2009
Kapitel 20

Kapitel 20

Im Jahr 399 nach der Landung, am 11. Tag des 1. Monds in Yls Jahrviertel

Am nächsten Morgen brachen wir beim ersten Tageslicht auf. Während die anderen Sommerhofler sich bereit machten, auf den See hinaus zu rudern, um die Krebskörbe aus dem Wasser zu holen, ließen es sich Albyn und Alwylin nicht nehmen uns zum Eingang der Klamm zu führen. Ich war ihnen sehr dankbar dafür, denn der Weg zur Klamm war sehr schmal und steil und ich konnte mich nach drei Jahren nicht mehr gut genug daran erinnern, um mich im Halbdunkel zurechtzufinden.
Ich hatte aber noch mehr Grund zur Dankbarkeit. Während ich mit Yonann bei der heißen Quelle war, hatte Albyn eines der Kinder zum Hof geschickt und eine Karte von der Klamm und dem Land hinter dem Wall holen lassen. Er und Alwylin hatten sie in jahrelanger mühseliger Arbeit selbst angefertigt und präsentierten sie mir stolz, als ich mit Yonann zum Zeltlager zurückkam. Neben den wenigen Höfen und Ansiedlungen waren alle Pfade und Pässe darauf eingezeichnet sowie die Konturen der Berggipfel, wie sie von dem Ausgang der Klamm aus erschienen. Als ich den sorgfältig beschriebenen Verlauf der Klamm durch den Wall studierte, verschlug es mir fast die Sprache.
„Das hier - das ist wirklich eine Abzweigung? Und keine Sackgasse, wie die hier?“
„In der Tat, Tarlon, es ist eine richtige Abzweigung, eine zweite Klamm. Es gibt noch mehr Abzweigungen. Hier ist eine – und hier... Aber diese da ist die einzige, die auch ganz durch die Klamm führt. Die anderen sind alles Sackgassen. Man muss aber aufpassen, dass man nicht noch einmal abbiegt. Wir sind einige Male - dreimal glaube ich... doch zweimal, Ylma? Nun gut .. wir sind dadurch gegangen und dann hier an dieser Stelle aus dem Wall gekommen. Ihr seid doch schon einmal durch die Klamm gegangen, nicht wahr? Nun, dieser Ausgang liegt etwas weiter westlich von dem einen Ausgang, den ihr damals genommen habt. Hier ist er, an dieser Stelle.“ Albyn zeigte auf eine Stelle ein gutes Stück westlich von dem Ausgang der Hauptklamm aus dem Wall, durch einem langen Felsenkamm von ihr getrennt. Yonann studierte die Karte neugierig und überließ es mir die Fragen zu stellen.
„Ist der Weg von hier weiter, wenn man die Abzweigung geht?“
Alwylin zuckte die Achseln. Ihr Bruder ließ sich Zeit mit der Antwort, studierte die Karte und wiegte den Kopf.
„Ich denke nicht... Es ist in etwa der gleiche Weg. Auch nicht unwegsamer, aber ein wenig schmaler. Nein, er ist in etwa genauso lang von hier aus.“
„Das könnte sehr nützlich von uns sein. Aber wo ist diese Abzweigung? Ich habe sie nicht bemerkt, als ich durch die Klamm ging.“
„Nun, sie ist wohl ein wenig versteckt.“ Albyn wiegte den Kopf. „Nicht leicht zu sehen .. Ein Felsen verdeckt sie. Es hat wohl einmal einen Erdrutsch gegeben. Wir haben sie auch nur zufällig entdeckt. Es gibt viele Abzweigungen, die durch Wasserläufe verursacht wurden. Ich glaube aber, dieser hier wurde künstlich verlängert und mit der Klamm verbunden.“
„Künstlich? Von wem?“
Die Zwillinge blickten sich an und Albyn legte den Kopf schief. „Nun, von dem Verlorenen Volk, denke ich. Die, die vor uns hier lebten. Die Kyakadrin oder wie immer sie sich selbst nennen. Nach vierhundert Jahren ist nicht mehr viel davon zu sehen, aber wenn man darauf achtet, dann sieht man, dass die Klamm einmal künstlich befestigt und ausgebaut wurde. Heute ist vieles zerstört durch Verfall und Steinschläge, aber man kann es noch erkennen. Besonders am Anfang dieser zweiten Klamm. Sie müssen diese Wege durch den Wall regelmäßig genutzt haben.“
„Das wird wohl so sein.“ Ich sah auf die Karte nieder und spürte, wie sich eine Idee in meinem Kopf formte. Yonann sah mich erstaunt von der Seite an, sagte aber nichts, sondern wandte sich wieder der Karte zu.
„Eigentlich ist es schade, dass die Klamm nicht mehr genutzt wird. Wird sie nicht irgendwann ganz zerfallen?“
„Oh, sie wird schon noch genutzt.“ Albyn zwinkerte ihr zu. „Nicht mehr ganz so viel wie früher - als Ylma und ich noch klein waren, versteht ihr, bevor Tarlon Yendas Vaterzwillinge gewählt wurden. Da gab es noch viele Menschen, die regelmäßig hindurchgingen. Die haben dafür gesorgt, dass der Weg in Ordnung gehalten wurde. Aber das ist ja jetzt lange her und die Zeiten haben sich geändert.“
„Das müssen wohl die Sorte Menschen gewesen sein, die die Myrial meinte“ bemerkte ich und die Zwillinge grinsten.
„Heute sind es meistens Gardisten. Oder Leute wie wir, Hirten, die neue Weiden suchen oder auch Händler, die einen kurzen Weg nach Süd-Starknann wollen. Die schließen sich aber nur einmal im Jahr in Anns Viertel in Ylkurin zu einer Karawane zusammen bis zum Grenzhof von Starknann. Sonst ist der Weg zu steil und gefährlich für sie.“
„Wann ist das letzte Mal jemand durch die Klamm gegangen?“
Die Sommerhofler zuckten ratlos die Achseln. „Schon seit über einem Mond nicht. In den Wochen vor dem Drachenfest reist niemand in diese Richtung und seitdem ist noch keiner außer euch gekommen, von dem ich es wüsste jedenfalls.“
„Ihr wart uns eine unschätzbare Hilfe. Darf ich mir noch die Karte abzeichnen, bevor ich für euch spiele?“
Albyn schüttelte den Kopf. „Das braucht es nicht, ich leihe sie euch gerne. Nein -“ er hob die Hand, als ich protestieren wollte „ich habe selbst schon Kopien machen lassen, zur Übung, von meinen Kindern. Sie sollen mit dem Land hinter dem Wall vertraut werden. So vertraut wie mit dem Land auf dieser Seite des Walls. Auch wenn das Land hinter dem Wall nicht zu Ylkan gehört. Wer kann wissen wozu es gut ist? Wenn ihr zurückkommt, könnt ihr sie mir wiederbringen.“
„Wir stehen in eurer Schuld, Albyn. Dies wird mir eine Menge Zeit sparen, und meine Suche auf jeden Fall erleichtern.“
„Das hoffe ich, Tarlon. Wir alle hier hoffen, dass ihr eure Schwester bald wieder findet. Tarlil Aridys - sie liegt uns allen am Herzen.“
Es schnürte mir die Kehle zu, als er das so selbstverständlich und aufrichtig sagte. Ich hatte völlig vergessen, dass auch Aridys vor drei Jahren einmal hier gewesen war. Während ich mit den anderen Friedensdienstlern die Klamm erforschte, war sie auf dem Sommerhof geblieben, um Alwylins Schwiegertochter bei der Geburt ihres ersten Zwillingspaares zu helfen.
Albyn faltete die Karte zusammen und reichte sie mir. „Wenn euch dies auch nur ein wenig bei der Suche nach Tarlil Aridys hilft, so bin ich schon zufrieden“ sagte er. „Die Höfe, und Siedlungen, die ich eingezeichnet habe - das sind alles gastfreundliche Menschen. Ein bisschen seltsam vielleicht, etwas eigen, aber gute Menschen. Ihr sprecht doch Ylkanisch?“
„Ja, ich bin zwar etwas aus der Übung, aber ich denke ich werde zurechtkommen.“
„Das ist gut. Sie sprechen dort kein Nohkrei. Oder nur sehr wenig. Als ihre Vorfahren sich dort ansiedelten, gab es ja noch keinen Nohkran. Das war in der frühen Zeit nach der Landung.“
„Ich hoffe ich werde Zeit haben, um mir ihre Geschichten anzuhören. Für Yonann hier wird es natürlich schwierig...“
Alwylin sah erstaunt drein und Albyn hob die Augenbrauen. „Yonann? Ist das euer Name, Tarlil? Nicht Barys?“
Yonann lächelte nur und ich ärgerte mich einmal mehr über mich selbst. Aus irgendeinem Grund konnte ich mich einfach nicht an Yonanns richtigen Namen gewöhnen und benutzte fortwährend ihren geheimen Namen, den sie mir anvertraut hatte, und der eigentlich unter uns bleiben sollte. Bei den Wächtern vom roten Berg war er uns allerdings vom Vorteil gewesen.
„Doch, natürlich Barys. Ich mag nur diesen Namen nicht besonders und darum nenne ich sie Yonann.“
Die Sommerhofler blickten sich an und Albyn lächelte bedächtig. „Ein gewählter Name also? Nun, es ist ein schöner Name und passt gut zu euch, scheint mir. Aber nun lasst uns zu den anderen gehen, ihr müsst hungrig sein. Ach, eins habe ich vergessen. Ihr wollt doch sicher, dass eure Schwestern von dieser Karte nichts erfahren?“
Für einen Moment war ich in echter Versuchung. Dies war eine einmalige Gelegenheit, mir die Gardisten vom Hals zu halten. Yonann sah mich fragend an und ich überwand mich.
„Nein, ihr solltet ihnen auch eine Kopie geben. Das heißt, wenn sie eine wollen, vielleicht haben sie selbst schon ihre eigenen Karten. Aber ich möchte nicht, dass sie uns ganz aus den Augen verlieren, das wäre zu leichtsinnig.“
Albyn wiegte den Kopf und lächelte in sich hinein. „Leichtsinnig... ja, Tarlon, das wäre es. Das Land hinter dem Wall mag ja nicht so schrecklich sein... Nicht so, wie die Myrial wohl denkt... Aber es birgt durchaus seine Gefahren. Gefahren, mit denen man nicht rechnet, das sind die schlimmsten. Es könnte also auch für eure Schwestern recht gefährlich werden.“
Es verschlug mir wieder die Sprache. Daran hatte ich gar nicht gedacht, aber der Sommerhofler hatte vollkommen recht. Durch meine Suche brachte ich nicht nur Yonann in Gefahr - eine Tatsache, die mir nur zu gut bewusst war und mir große Sorge bereitete - sondern auch meine Schwestern, die sich nicht davon abbringen lassen würden, uns so dicht wie möglich zu folgen, um uns zu beschützen. Und vielleicht in ihrem Eifer leichtsinnig wurden und unnötige Risiken eingingen...
Für einen Moment war ich versucht, unseren Aufbruch zu verzögern und auf meine Schwestern zu warten. Doch dann stellte ich mir vor, wie es sein würde mit ihnen und der Gardistentruppe die Reise fortzusetzen, wesentlich langsamer und umständlicher als vorher, und immer gezwungen zu sein, sich den Vorgehensweisen und Regeln der Gardisten anzupassen, die nicht zulassen würden, dass wir uns frei bewegten und alles in Frage stellen würden, was ich vorbrachte, und ich schüttelte die Versuchung wieder ab.

Yonann war ein wenig zurückgefallen und ich wartete mit Benkal, bis sie wieder aufgeschlossen hatte. Sie sah etwas verschlafen aus. Letzte Nacht war es später geworden als ich gedacht hatte und sie hasste nichts mehr als zu früh aufstehen zu müssen, besonders wenn es noch dunkel war. Ich wusste aus Erfahrung, dass es ihr besser gehen würde, sobald die Sonne über den Bergen hervorkam. Jetzt lächelte sie mich an, gähnte und nahm meine Hand. Der Pfad war hier, kurz vor der Klamm gerade breit genug für uns beide und so stiegen wir, gefolgt von Benkal, weiter hinter den Sommerhoflern her, die schon geduldig bei der verwachsenen Bergkiefer am Eingang der Klamm auf uns warteten. Einige Meter weiter sprudelte der Ylkur aus einer Felsspalte, an dieser Stelle und zu dieser Jahreszeit kaum mehr als ein Bach, trotz der starken Regenfälle in den letzten Tagen. Alwylin sah Yonann besorgt ins Gesicht.
„Werdet ihr zurechtkommen, Tarlil? Sollen wir nicht doch mitkommen, bis zum Ende der Schlucht?“
„Nein, bitte, das ist nicht nötig, Tara Alwylin. Es geht mir gut. Ich bin nur etwas müde, gestern ist es sehr spät geworden...“
Alwylin lächelte. „Ja, wir schulden euch beiden Dank. Es war ein wunderbarer Abend. Wir hatten lange keinen Barden mehr hier und euer Spiel hat mir sehr gefallen, Tarlon.“
„Es war mir ein Vergnügen, Alwylin. Ich hoffe, dass wir bald zurückkommen können.“ Für dieses Mal meinte ich auch was ich sagte. Normalerweise lagen mir derartige Konzerte überhaupt nicht, aber die Sommerhofler waren ein gutes und dankbares Publikum gewesen, die mit allem zufrieden gewesen waren, was ich für sie spielte, ohne auch nur ein einziges Mal Wünsche einzubringen. Und Yonann hatte sich hinreißen lassen, einiges aus ihrem Leben in Baleh zu erzählen - allerdings nicht die Geschichte vom Weinblütenfest oder ähnlich frivole Episoden, aus Sorge, die eher zurückhaltenden Sommerhofler könnten ein falsches Bild von ihr und ihrem Land bekommen.
Nach einem langen Abschied und vielen guten Wünschen ließen uns die Sommerhofzwillinge schließlich doch gehen und wir betraten die Klamm. Ich hatte die Fackellampe entzündet, die Alwylin mir bei unserem Aufbruch noch mitgegeben hatte, und ging voraus. Wir würden die Lampe vermutlich bis zum späten Vormittag brauchen, denn selbst bei vollem Tageslicht bleibt es in Teilen der Klamm immer dämmrig und schattenhaft. Ab und zu verbreitert sich die Schlucht soweit, dass die Sonne voll hinein scheinen kann und die Wände weiter oben mit Sträuchern und Schlingpflanzen oder sogar Bäumen bewachsen sind, dann wieder wird die Kluft so eng, dass die Felswände einander zu berühren scheinen und die Sonnenstrahlen nur vereinzelt ihren Weg bis zum Grund finden. Es war kühl in der Klamm und sehr feucht, alle paar Meter flossen Wasserrinnsale von den bemoosten Wänden herab oder es tropfte von höher gelegenen Felsnasen auf uns herunter, wie mir schien mit Vorliebe in meinen Nacken und Hemdkragen. Der Weg, dem wir folgten, war einige Meter über dem Fluss seitlich in den Felsen gehauen und mit Holzbalken und Seilen gesichert worden. Er musste schon sehr alt sein, denn sowohl der Weg selbst als auch die steinernen Stufen und Absätze waren schon sehr ausgetreten und oft glitschig. Hin und wieder mussten wir über eine steinerne Brücke auf die andere Seite wechseln, wenn die Beschaffenheit des Felsens an dieser Stelle keinen weiteren Ausbau mehr zugelassen hatte. Als sich zeigte, dass der Pfad breit genug für uns beide war, schloss Yonann auf und wir gingen Hand in Hand, während Benkal geduldig hinter uns her trottete. Weder das laute Rauschen und Gluckern des Ylkur, der teils tief unter uns und dann wieder dicht am Pfad entlang schäumte, noch die seltsamen Geräusche und Echos in der Kluft schienen ihn zu stören, und auch die Tropfen auf seiner Mähne und Kruppe, die sich durch den ständigen feinen Wassernebel bildeten, beachtete er nicht. Ich hoffte, dass er auch hier, in der dämmrigen Felsenschlucht, seinen gewohnten Rhythmus beibehalten würde. Meine Idee, die mir gestern beim Studieren der Karte gekommen war und die ich seitdem erweitert hatte, baute darauf.
Yonann ertappte mich dabei, als ich mich einmal mehr nach Benkal umschaute und legte fragend den Kopf schief.
„Machst du dir Sorgen um ihn? Er scheint doch ganz gut zurechtzukommen, oder? Besser als ich zumindest, ich rutsche dauernd aus...“
„Er hat ja auch vier Beine“ sagte ich. „Aber ich hoffe, dass die Felsen ihm nichts ausmachen, denn wenn er lahmt, müssen wir unsere Sachen selber tragen. Oder verstehst du dich auch auf Tierheilkunde?“
Yonann blickte selbstzufrieden drein. „Ein bisschen schon. Eine Zerrung oder ein Bruch sind nicht so viel anders als beim Menschen. Ich hab sogar einmal bei einem Reiher einen gebrochenen Flügel gerichtet.“
„Konnte er nachher auch wieder fliegen?“ Yonann puffte mich gespielt ärgerlich in die Rippen und rutschte prompt wieder aus.
Allmählich wurde es heller in der Schlucht und wir konnten die Konturen der Felsen um uns erkennen. Hoch über uns, so hoch, dass wir Köpfe weit in den Nacken legen mussten, um es zu sehen, war ein schmaler unregelmäßig gezackter Streifen blauen Himmels zu sehen. Je weiter der Tag fortschritt, desto öfter drangen einzelne Sonnenstrahlen bis fast zum Grund der Schlucht vor und ließen die Wassertropfen an den Felswänden in allen Regenbogenfarben aufleuchten. Nun konnte ich auch sehen, dass Albyn recht gehabt hatte, überall an dem Pfad, den Wänden und dem Flussbett ließ sich erkennen, dass die Schlucht einmal künstlich erweitert und befestigt worden war. Hie und da säumten sorgfältig behauene und glattgeschliffene Steine den Pfad, die mir sehr alt erschienen. An einigen markanten Punkten hatte jemand - vielleicht die ersten Siedler oder auch die späteren Schmuggler und Händler - Entfernungsangaben in den Felsen gehauen, zumeist in ylkanischen Zahlsymbolen, aber auch ab und zu in nohkresischen Meilenzeichen. Ich konnte keine Zeichen entdecken, die von den Kyakadrin hätten stammen können, obwohl sie diesen Weg vermutlich zuerst angelegt hatten. Vielleicht hatten sie andere Methoden zur Orientierung benutzt oder ihre Zeichen waren für ungeübte Augen unsichtbar.
Wir legten eine kurze Rast ein, als Benkal wie immer pünktlich zu Beginn der vierten Tagesstunde zu trinken verlangte. Während wir versuchten, unsere Kleider und Haare so gut es ging etwas zu trocknen, soff er gelassen von einem Rinnsal eiskaltem Bergwassers, das an der Schluchtwand heruntersickerte und in einer Ritze zwischen dem Pfad und der Felswand verschwand. Danach blieb er mit halbgeschlossenen Augen dösend auf dem Pfad stehen und schien in sich hineinzuhorchen. Ich wusste, dass mir noch etwa zwei Stunden blieben und holte noch einmal die Karte heraus, um mich zu vergewissern, dass ich mit meiner Schätzung richtig gelegen hatte. Yonann sah mir neugierig über die Schulter und freute sich über unseren Fortschritt, nachdem wir anhand der Wegsteine unseren Standort bestimmt hatten. Mir war es dagegen noch nicht weit genug, ich fürchtete, dass meine Schwestern jetzt beim Sommerhof oder am See eingetroffen sein oder sogar schon am Eingang der Klamm angelangt sein könnten. Es konnte auch gut sein, dass sie dort schneller vorankommen würden als wir und so drängte ich bald wieder auf Aufbruch.
Als wir die Abzweigung zur Hälfte der sechsten Stunde endlich erreichten, hätte ich sie wirklich beinahe übersehen. Der Eingang war nur sichtbar, wenn man aus der anderen Richtung kam, und selbst da wirkte er unscheinbar, kaum anders als eine schmale Nische. In unserer Sichtrichtung verdeckte ein großer herabgestürzter Felsbrocken die Öffnung in der Felswand völlig. Ich ging ein paar Schritte rückwärts und prägte mir den Anblick gut ein, dann folgten wir weiter der Hauptklamm. Nach einer Weile begann ich langsamer zu gehen und blickte immer wieder zurück und dann wieder auf Benkal, und es dauerte nicht lange, bis Yonann genug hatte und stehen blieb, mit in die Hüfte gestemmten Armen. Mit genau dieser Haltung und demselben Gesichtsausdruck hatte mich ihre Tante, Kerlil Monas von Baleh, grimmig fixiert, nachdem sie extra für mich eine Ratssitzung unterbrochen hatte. Sie hatte sehr bald eingelenkt, doch in diesem ersten Moment wäre ich angesichts ihrer Miene am liebsten im Boden versunken.
„Yenda, was soll das? Ich dachte erst, du wolltest die Abzweigung nehmen, und jetzt siehst du dich schon wieder dauernd um, du machst mich total nervös damit. Was hast du? Sind es deine Schwestern?“
„Später, Yonann, bitte. Ich werde es dir erklären, aber jetzt müssen wir erstmal weiter... Bitte, nur noch ein kleines Stück, dann können wir Pause machen...“
„Darum geht es mir nicht, ich möchte wissen was du hast. Irgendwas hast du vor, du bist unruhig wie ein aufgescheuchtes Huhn!“
Ich atmete tief durch und versuchte mich zu beruhigen. „Du hast Recht, ich mache mir Sorgen wegen meiner Schwestern. Aber ich kann es dir jetzt nicht erklären, wir müssen erst ein bisschen weiter gehen. Es kann nicht mehr lange dauern, nur noch ein bisschen... komm schon, Benkal... – aaah! Na endlich!“
Benkal hatte mit uns angehalten und blieb weiter unbeeindruckt stehen, als ich an seinem Zügel zog. Jetzt senkte er den Kopf, spreizte die Hinterbeine und hob seinen Schwanz etwas an. Dann schickte er sich in aller Ruhe an seinen täglichen Haufen abzuladen, wie jeden Tag um genau diese Zeit. Vor Erleichterung wurde mir fast schwindlig. Der kleine dampfendfrische Haufen Pferdeäpfel lag nun gut sichtbar auf dem Weg, unübersehbar für jeden, der nach uns durch die Kluft kam. Nachdem der letzte Apfel herab gefallen war, streckte Benkal sich einmal genüsslich, schnaubte und schickte sich an weiter zu trotten. Als ich ihn anhielt und zu einer Kehrtwendung bewegte, guckte er mich nur milde verwundert an. Ich führte ihn vorsichtig zurück an seinem Haufen vorbei, so dass er nicht drankam und Spuren hinterließ und wandte mich zu Yonann um, die immer noch am selben Fleck stand und wortlos meinem Treiben zusah.
„Komm, Yonann!“
„Was hast du vor?“
„Wirst du schon sehen. Jetzt komm! Bitte!“
Yonann schob das Kinn vor. „Yenda ..“
„Bitte, Yonann, ich erkläre es dir gleich. Aber jetzt komm, bitte!“
Ich zog Benkal, der es aufgegeben hatte sich zu wundern, hinter mir her und nach kurzem Zögern folgte Yonann uns. Ich nahm ihre Hand, zog sie an meine Lippen und rieb ihren Handrücken an meiner Wange. Das hatte früher immer gewirkt und schien sie auch jetzt ein wenig zu versöhnen, aber als wir den Eingang der Abzweigung erreichten und ich hinter den Felsbrocken leuchtete, um zu sehen, ob Benkal mit seinen Tragetaschen durch die Öffnung passte oder wir ihn abladen mussten, schüttelte sie meine Hand wieder ab und trat einen Schritt zurück.
„Ach, das ist dein Plan? Deine Schwestern in die Irre leiten?! Bist du verrückt geworden?“
Die Öffnung schien groß genug zu sein. Ich ging zu ihr und nahm ihre beiden Hände in meine.
„Yonann – nein, bitte, glaub mir, ich habe es mir gut überlegt.“
„Aber damit verlieren wir sie ganz!“
„Nein, das ist nicht wahr. Du kennst meine Schwestern nicht, die finden uns wieder. Spätestens am Ende der Schlucht werden sie merken, dass wir den anderen Weg gegangen sind, wenn nicht schon früher. Ich will nur nicht, dass sie so dicht hinter uns sind.“
„Wie dicht? Sind vier Stunden nicht genug?“
„Nein, sie kommen viel schneller vorwärts als wir. Meine Schwestern werden höchstens noch zehn Mann mitnehmen und die schaffen die Strecke viel schneller als wir. Und wenn sie uns einmal eingeholt haben, lassen sie uns nicht wieder gehen, glaub mir! Es gibt keinen anderen Weg. Ich verstehe, dass du Angst hast, die hab ich auch, aber ich kann einfach nicht zusammen mit den Gardisten reisen. Ich kann es einfach nicht.“
Yonann schwieg und für einen Moment hörte ich nur das Rauschen des Wassers und den Wind in den Felsen. Es war die gleiche Situation wie vor anderthalb Monden in Baleh auf der Strasse zum Grenzhof und so wie damals fühlte ich, wie mir die Verzweiflung schier die Luft abdrücken wollte. Nur dass ich damals genau wusste, dass ihr nichts geschehen würde und sie guten Gewissens bitten konnte mir zu vertrauen. Jetzt wussten wir beide nicht was uns erwartete. Allerdings lastete mir die Sorge um Yonann weitaus schwerer auf der Seele als meine eigene Angst vor der ungewissen Zukunft. Und doch wollte ich um keinen Preis auf sie verzichten, ja, inzwischen war ich soweit, dass ich mir ganz sicher war ohne sie zu scheitern, so wie ich gescheitert wäre, wenn ich ohne sie zum roten Berg zurückgekehrt wäre.
Benkal schnaubte und warf ungeduldig den Kopf. Yonann kraulte ihn mechanisch auf der Kruppe und seufzte dann.
„Ich bin auch nicht besonders erpicht darauf, mit den Gardisten zu reisen“ gab sie endlich zu. „Ich habe es einmal machen müssen und das war nicht besonders angenehm. Sie kommandieren einen immer herum...“
„Sie würden uns auch Tag und Nacht nicht aus den Augen lassen“ fügte ich hinzu und Yonann grinste verstehend, aber wurde schnell wieder ernst.
„Ich kann nur hoffen, dass du recht hast und deine Schwestern wirklich so gut sind wie du glaubst“ sagte sie endlich. „Vielleicht haben wir ja Glück und sie fallen erst gar nicht auf deinen Trick rein.“
Ich versuchte mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen, obwohl das bei ihr vollkommen sinnlos war. „Möglich ist es schon, sie kennen mich ganz gut. Ich denke, sie werden uns spätestens in zwei Tagen einholen, wenn nicht sogar früher, wenn sie herausfinden, in welche Richtung wir uns halten werden.“
„Müssen wir denn wirklich in diese Richtung?“
„Ja, mehr oder weniger. Die Hauptklamm verläuft zu weit südlich, so sparen wir mindestens einen halben Tag.“
„Dann hast du ja richtig Glück gehabt, dass es diese Abzweigung gibt. Wie weit ist es überhaupt noch?“
„Was meinst du wie weit? Bis zu meiner Schwester? Das weiß ich nicht.“
Yonann runzelte die Stirn. „Du weißt nur die Richtung?“
„Ja, so in etwa. Aber sehr weit kann es nicht mehr sein, es sind nur noch ungefähr drei Tagereisen bis zur Küste, also muss sie irgendwo davor sein. Und der Weg ist nicht allzu schwer bis dahin.“
An dem Einstieg zur Abzweigung mussten wir ein wenig klettern und Benkal mit den Tragetaschen helfen, damit er nicht stecken blieb, doch einige Meter hinter dem Eingang wurde der Weg wieder eben. Die zweite Klamm war wesentlich schmaler als die Hauptklamm und war nur so weit wie nötig ausgebaut. Der kleine Bach, durch den sie sich gebildet hatte, floss langsamer und gemächlicher und versickerte stellenweise ganz im Geröll. Es gab keine Brücken mehr, so dass wir den Bach öfter über flache Steine im Wasser überqueren oder wie Benkal einfach durch ihn durchgehen mussten. Yonann wirkte immer noch skeptisch und ich zerbrach mir den Kopf, wie ich ihr erklären konnte, was für mich fast selbstverständlich war.
„Sieh mal, ich frage dich auch nie, wie deine Clangabe funktioniert. Ich weiß, dass man es nicht in Worte fassen kann und so ist es hier auch. Ich kann meine Schwester finden, aber ich kann dir nicht sagen, wo sie ist und wie weit von uns entfernt.“
„Du meinst, das ist auch wie eine Clangabe? Dass Zwillinge einander wieder finden können, wenn sie voneinander getrennt sind?“
Ich dachte darüber nach und schüttelte dann den Kopf. „Ich weiß es nicht. Wenn es so wäre, dann hat es noch nie jemand berichtet. Es kommt auch selten vor, dass Zwillinge des Königshauses getrennt werden. Vielleicht im 1000-Monde-Krieg, da sind viele Aufzeichnungen verloren gegangen – aber ich habe noch nie davon gehört.“
„Was ist mit deinem Namensvetter? Hatte der nicht seine Schwester verloren?“
„Ja, und sie wurde nie gefunden. Anfangs soll er ein paar Mal versucht haben, sich allein auf den Weg zu machen, so wie ich, aber es war mitten im Krieg mit Starknann und die Gefahr war zu groß, dass man ihn als Geisel genommen hätte, darum wurde er praktisch wie ein Gefangener gehalten. In seinen Gedichten beschreibt er zwar seine langen Suchen, die immer vergeblich sind, aber in Wirklichkeit kam er nie aus dem Drachenschloss heraus.“
„Der Arme. Vielleicht sind es Traumreisen, die er beschreibt?“
„Gut möglich. Einige Stellen lesen sich sehr merkwürdig. Ich habe auch immer das Gefühl, dass er sich insgeheim davor fürchtete seine Schwester zu finden. Als ob er ihr Unrecht getan hätte und sich deswegen schuldig fühlte.“
„Was für Unrecht? Weil er sie verloren hatte?“
„Nein. Als ob etwas geschehen war, das sie ihm nicht verzeihen konnte. Aber es ist sehr unklar. Wahrscheinlich fühlte er sich nur für sie verantwortlich.“
„Hat er das Gedicht auf ylkanisch geschrieben?“
„Die Gedichte, es ist ein ganzer Zyklus, zweiundzwanzig Stück im Ganzen und alle davon haben zweiundzwanzig Strophen.“ Yonann blieb der Mund offen stehen. „Zweiundzwanzig, weil das Yls heilige Zahl ist. Und ja, sie sind auf ylkanisch, aber es gibt eine nohkresische Übersetzung. Ich habe selbst daran mitgearbeitet, es war ein Teil meiner Bardenprüfung.“
„Oh. Dann würde ich sie gerne mal lesen.“
„Ach, sie lesen sich ganz spannend. Ab und zu wiederholt er sich natürlich und manchmal wird es sehr schwermütig. Und das letzte Gedicht ist sehr... nun, unheimlich.“
„Warum, was geschieht da?“
„Er sieht, wie jemand auf ihn zukommt und glaubt, dass es seine Schwester ist, doch als sie näher kommt, merkt er, dass er vor einem großen Spiegel steht und dass es sein Spiegelbild ist, das er für seine Schwester gehalten hat. In Anns Spiegel.“ Erst als Yonann ihre Hand beinahe gewaltsam aus meiner befreite, merkte ich, dass ich sie wieder zu fest umklammert hatte. „Nun, er steht vor dem Spiegel – und es endet damit, dass er in den Spiegel hineingeht. Mit anderen Worten, dass er stirbt.“
„Oh. Hat er sich denn wirklich umgebracht?“
„Nein, in den Chroniken steht, er wäre an einer Krankheit gestorben - ein Geschwür oder eine Entzündung. Meister Nagyn meinte, es müsste eine Darmentzündung gewesen sein.“
„Und er hatte auch keinen Lebenswillen mehr, weil er ja seinen Todeszwilling gesehen hatte.“
„Wenn es wirklich so war. Vielleicht hat er es sich nur ausgedacht. Oder er spürte den Tod seiner Schwester und konnte darum selber nicht weiterleben.“
Yonann zog scharf die Luft ein. „Ist das wirklich so? Dass Zwillinge immer zusammen sterben, egal ob sie voneinander getrennt leben?“
„Bei den Zwillingen des Clans ja. Es hat noch nie einen Fall gegeben, bei dem ein Clanangehöriger den Tod seines Zwillings überlebt hätte. Außer mir, aber auch nur, weil ein Teil meines Zwillings in mir weiterlebte. Und wegen Aridys ...“
Yonann blieb stehen und starrte mich an, weiß um die Lippen.
„Aber Yenda .. wenn sie stirbt ...“
Ich nahm ihre Hand in meine.
„Ich weiß es nicht, Yonann. Ich lebe ja immer noch, obwohl ich dachte, sie wäre tot. Ich weiß nur, dass ich sie finden muss, bevor sie stirbt.“
Yonann öffnete den Mund und schloss ihn wieder ohne etwas zu sagen und senkte den Kopf. Ich wusste wie ihr zumute war. Ich wurde von dem gleichen Gedanken verfolgt und gequält, seit der Nacht in der Aridys verschwunden war.
Als wir an eine Stelle kamen, wo sich in der Klamm durch einen großen Riss im Felsen eine breite Nische gebildet hatte, machten wir unsere Mittagspause. Die Sommerhofler hatten uns reichlich Vorräte mitgegeben und für diesen Tag ein großes Paket mit Resten vom gestrigen Grillfest, so dass wir kein Feuer anzuzünden brauchten. Sogar einige Flaschen mit eingedicktem Himbeersaft für Yonann waren dabei, damit sie ihre Milch damit mischen konnte – ein Trick, auf den Alwylin sie gebracht hatte, als sie erfuhr, dass Yonann keine Milch mochte. Und Benkal war natürlich auch nicht vergessen worden, neben einem großen Packen Heu, der noch bis zum nächsten Tag reichen mochte, hatten sie ihm auch ein paar gut gefüllte Futtersäcke mit Hafer und Futterrüben eingepackt, und jetzt malmte er zufrieden in dem ersten.
Ich verzichtete auf meine gewohnten Lautenübungen nach dem Essen, weil ich befürchtete, dass meine Laute, die ich so sicher wie nur möglich verpackt hatte, durch die Feuchtigkeit Schaden nehmen könnte. Stattdessen sah ich mir die Karte noch einmal an, während Yonann meditierte. Sie lehnte mit geschlossenen Augen im Schneidersitz an der Felswand, die Hände im Schoß verschränkt, so dass die Sonne, die sich jetzt genau über der Schlucht befand, auf sie herunter schien und es aussah, als würde sie das Licht und die Wärme in sich aufsaugen. Ihr Zopf war nur lose geflochten heute und etliche Strähnen hatten sich schon daraus befreit und glänzten im Sonnenlicht. Ich merkte bald, dass ich mich nicht auf die Karte konzentrieren konnte und gab es schließlich ganz dran.
„Yenda .. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du mich so anstarrst.“
Ich fuhr zusammen. „Woher weißt du das? Du hast doch die Augen zu!“
Yonanns Mundwinkel bewegten sich ganz leicht nach oben.
„Ich merke es auch so. Ich brauche dich auch nicht mehr zu berühren dafür. Mittlerweile kann ich dich auch so spüren.“
„Oh. Und auf welche Entfernung?“
„Ich weiß es nicht. Nicht sehr weit, ein, zwei Meter vielleicht. Mehr, wenn nichts zwischen uns ist.“
„Na gut. Dann .. versuche ich dich nicht mehr zu stören.“
Yonann lächelte wieder und ich setzte mich, wenn auch widerwillig, anders hin, so dass ich sie nicht mehr im Blickfeld hatte, und sah mir erneut die Karte an. Die Berge und Täler hinter dem Wall waren recht detailliert eingezeichnet, aber der Küstenverlauf war sehr vage. Ich sah ein paar Stellen, die sowohl Täler als auch Meeresarme sein konnten. Das Land hinter dem Ausgang der Nebenklamm war nicht so detailliert beschrieben wie der zwischen dem Ausgang der Hauptklamm und der Küste. Ich sah lediglich einen Vermerk für ein Gebäude auf etwa halben Weg zur Küste, aber konnte nicht ablesen, ob es ein Hof war oder nur eine Scheune. Falls es ein Hof war und man uns dort aufnahm, könnte ich dort versuchen etwas über die beiden Magier in Erfahrung zu bringen. Vielleicht waren sie auch dort vorbeigekommen ...
„Yenda ..“
„Ja? Bist du fertig?“
Yonann streckte die Arme über dem Kopf, aber blieb sitzen.
„Es hat nicht viel Zweck heute. Wenn du übst, geht es besser.“
„Tut mir leid. Es ist mir zu feucht hier drin.“
„Ist ja nicht schlimm. Yenda, was ich dich fragen wollte, hast du letzte Nacht den Traumbruder gesehen?“
Ich stöhnte innerlich. Sonst fragte sie das getreulich jeden Morgen nach dem Aufstehen und ich hatte schon gehofft, sie hätte es diesmal vergessen.
„Nun – ja, aber nicht so richtig. Mehr von weitem eben, so wie immer.“
Yonann seufzte. „Du solltest ihm nicht ausweichen.“
„Das tue ich nicht. Er weicht mir aus.“
Das stimmte auch, aber tatsächlich hatte ich mir seit unserer Begegnung vor drei Tagen nicht mehr besonders viel Mühe gegeben an ihn heranzukommen, sondern mich darauf beschränkt ihn von weitem zu beobachten. Und es erschien mir, als ob er das gleiche tat, als hätten wir ein stillschweigendes Abkommen.
Yonann stand auf und streckte sich, dann setzte sie sich zu mir und ich hob ihre Beine über meine, so dass sie fast auf meinem Schoß saß.
„Ich weiß, dass es schwer ist, Yenda, aber du solltest versuchen mit ihm in Verbindung zu treten. Oder nur ihm nahe zu sein. Ich hab das Gefühl, dass es wichtig ist – ich weiß auch nicht warum.“
„Ich werde es versuchen, aber du musst dann dabei sein.“
Sie legte ihre Stirn an meine. „Das werde ich, aber wenn ich es einmal nicht schaffe, solltest du es nicht gleich aufgeben. Er kann dir nichts anhaben, selbst wenn er wollte. Und vielleicht - wenn er sich an dich gewöhnt hat - kann er dir auch etwas sagen...“
„Was sagen?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht kann er uns irgendwie helfen. Oder wir ihm. Ich mache mir wirklich Sorgen um ihn. Vielleicht wird er eines Tages stärker, so stark, dass er Schaden anrichten kann. Und dann können wir nichts mehr ausrichten. Wenn wir nichts unternehmen, könnte er ewig so bleiben, zwischen Leben und Tod.“
„So wie Aridys? Hält sie ihn vielleicht am Leben?“
„Ich weiß es nicht. Es wäre möglich. Vielleicht lebt er inzwischen auch nur noch durch uns. Wir wissen zu wenig über ihn und deshalb müssen wir mehr über ihn erfahren.“
Ich drückte sie an mich und presste mein Gesicht in ihre Halsbeuge.
„Hast du denn keine Angst vor ihm? Ich ertrage es nicht in seiner Nähe zu sein, ich fühle mich dann, als wäre alles vorbei, alles verloren…“
„Ich weiß. Er strahlt diese Gefühle aus, weil er nichts ist außer diesen starken negativen Gefühlen, sie machen sein ganzes Wesen aus. Und übertragen sich auf jeden, der in seine Nähe kommt.“
„Wie erträgst du ihn dann?“
„Ich kann es abschirmen. Du könntest das auch, wenn du nur darauf vertrauen könntest.“
„Ich habe es ja versucht. Aber die Schilde sind zu schwach, ich verliere sie sobald er in meine Nähe kommt.“
„Dann musst du sie stärker machen. Oder etwas anderes versuchen... Vielleicht an etwas mit Aridys denken, etwas schönes, was ihr beide erlebt habt.“
„Mit Aridys? Wird ihn das nicht erst recht – ich weiß nicht, reizen?“
„Vielleicht, aber dann bekommen wir auf jeden Fall eine Reaktion und lernen etwas über ihn. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich mache mir Sorgen um ihn, vielleicht wird er immer stärker in seinem Wahnsinn und schafft es bald sogar aus der Traumwelt auszubrechen. Wir sollten es nicht darauf ankommen lassen.“
„Aber was können wir denn gegen ihn ausrichten – aber du hast recht, es hat keinen Sinn zu spekulieren. Heute abend versuchen wir es noch einmal, oder ich tue es alleine, versprochen. Aber jetzt müssen wir aufbrechen, es wird spät.“ Ich machte mich wieder von ihr los und wir standen auf. Yonann nahm meinen Kopf in ihre Hände und küsste mich so heftig, dass ich beinahe doch Lust bekam etwas länger zu bleiben.
„Armer Yenda. Ich wünschte, ich könnte dir das ersparen. Ich werde bei dir sein, solange es geht. Vielleicht erfahren wir ja schon heute etwas.“
„Das hoffe ich mal.“

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