Babas Welt
Samstag, 19. Dezember 2009
Kapitel 19

Kapitel 19

Im Jahr 399 nach der Landung, am 10. Tag des 1. Monds in Yls Jahrviertel

Gegen Mittag machten wir Rast auf einer Anhöhe am Ende des Kandyrtales. Die letzten Regenwolken verzogen sich nach Norden und von der Anhöhe aus war Yls Wall im vollem Umfang zu erkennen, eine lange dunkelgraue unregelmäßig gezackte Bergkette quer durch die schmalen Täler und Anhöhen hindurch, die Spitzen in Nebel gehüllt, noch etwa drei oder vier Stunden entfernt. Yonann starrte das Bergmassiv stirnrunzelnd an, als könnte sie den Anblick durch bloßes Fixieren vertreiben.
„Yenda .. was ist diese Bergkette da vor uns? Müssen wir sie nicht umgehen?“
„Yls Wall, und nein, ihn zu umgehen würde zu lange dauern, über vier Tagereisen von hier aus.“
„Was dann? Gibt es einen Pass?“
„So ähnlich. Eine Klamm.“
„Eine was??“
„Klamm. Das ist eine Art Schlucht - wie ein sehr schmaler tiefer Riss in dem Massiv, wo sich ein Fluss durch den Felsen gegraben hat. Die Schlucht ist sehr eng, aber sie führt quer durch das Massiv hindurch.“
„Woher weißt du das, bist du schon einmal hier gewesen?“
„Ja, vor drei Jahren im Sommer, bei meinem Abschlussfriedensdienst. Ich konnte mir aussuchen, wo ich ihn ableisten konnte und ich wollte mir schon immer Yls Wall ansehen.“
Meine Schwestern hatten diese Friedensdienstgruppe geleitet und weil Meister Nagyn in Ylkurin - der Stadt in dem Tal vor dem Massiv, in der Nähe der Klamm - Verwandte hatte, entschloss er sich uns zu begleiten. Zu meinem Glück, wie sich herausstellte, als ich am vorletzten Tag von dem Armbrustbolzen getroffen wurde. Aridys war nicht dabei gewesen, sie war zwar mit mir nach Ylkurin gekommen, aber der normale Waffendienst war ihr schon lange zu anstrengend und sie verbrachte unsere gemeinsamen Friedensdienste lieber mit Krankenpflege in den Hospitälern der Stadt, so dass wir nicht viel voneinander sahen. Ich kann immer noch nicht umhin mich zu fragen, ob vielleicht alles anders gekommen wäre, wenn ich mehr Zeit mit ihr verbracht hätte oder mich mehr dafür interessiert hätte, was sie tat und was sie bewegte, anstatt ihr immer nur von meinen eigenen Sorgen und Nöten zu erzählen. Wie konnte es nur dazu kommen, dass wir uns soweit voneinander entfernten? Ich war froh um jede Gelegenheit gewesen aus dem Schloss herauszukommen und Neues zu sehen, aber hatte mir nie Gedanken darum gemacht, dass es Aridys vielleicht ähnlich gehen mochte. Sie war immer die nachgiebigere, zurückhaltendere, geduldigere von uns beiden gewesen und im Laufe der Zeit hatte ich mich so sehr daran gewöhnt, dass es mir nie in den Sinn kam, sie könnte noch schwerwiegendere Probleme und Anliegen haben als ich. Wie sehr ich sie brauchte, wie abhängig ich von ihr war, kam erst zutage als sie verschwand und es zu spät war.
„Hier hört Ylkan auf, oder? Bist du schon einmal durch die Klamm gegangen, zur anderen Seite?“
„Ja, ein paar Mal und einmal sind wir ein Stückchen weiter vorgedrungen, aber nicht weit, nur etwa eine Stunde. Es dauert einen knappen Tag, die Klamm zu durchqueren, bei gutem Wetter.“
Yonann beschattete sich die Augen mit einer Hand und sah zum Ende des Tales unter uns hinüber, wo die Dächer und Türme von Ylkurin in der Mittagssonne glänzten.
„Und wie weit ist es noch bis zu der Stadt? Liegt die Klamm hinter Ylkur?“
„Ylkurin. Ylkur ist der Fluss, an dem die Stadt liegt, er fließt durch die Klamm. Nein, zur Stadt wäre es nicht sehr weit, vielleicht zwei oder drei Stunden, aber wir können nicht dahin.“
Yonann sah mich verblüfft an und dann merkte ich, wie scharf mein Ton geworden war.
„Warum nicht?“ fragte sie ruhig. Als ich nicht antwortete, wandte sie sich mir zu und sah mir in die Augen.
„Yenda? Willst du nicht dahin?“
Ich wich ihrem Blick aus. „Eigentlich ist es ein ziemlicher Umweg. Die Klamm liegt weiter östlich, wir würden sie dann erst morgen erreichen.“
„Aber es ist die letzte Stadt in Ylkan, oder? Der Wall ist doch die Grenze?“
„Sicher...“ sagte ich widerstrebend.
„Und die letzte Gelegenheit, uns auszuruhen, Vorräte zu kaufen ...“
„Ja. Ich weiß. Ursprünglich wollte ich das auch, aber ich... ich hab es mir eben anders überlegt.“
Yonann sah mich abwartend an und das machte es nicht gerade leichter.
„Im Dunkeln ist die Klamm zu gefährlich, also müssen wir gleich am frühen Morgen am Eingang sein. Ich will mich auf keinen Fall unnötig aufhalten - und wenn wir erst in die Stadt gehen und da übernachten, kommen wir so schnell nicht wieder weg.“
„Aber warum?? Ich verstehe dich nicht, was sollte uns denn aufhalten? Haben wir es denn so eilig? Ich dachte, wir könnten wenigstens...“
„Ich weiß, in ein Badhaus gehen, das würde ich ja auch gerne, aber … es geht nicht, ich will es einfach nicht riskieren. Die Sache ist die... meine Schwestern sind schon in der Stadt. Sie warten auf uns, und sobald wir in die Stadt kommen, werden sie es erfahren. Und wenn sie uns finden, werden sie alles tun um uns aufzuhalten.“
„Deine Schwestern? Aber warum denn? Warum sollten sie uns aufhalten wollen?“
„Weil sie nun mal so sind. Ich kenne sie eben.“ Ich merkte selber wie lahm meine Begründung klang und wie gereizt ich mich anhörte und versuchte krampfhaft den Ärger zu unterdrücken, der unaufhaltsam in mir hochstieg. Allein der Gedanke, auch nur einen Tag zu verlieren oder gar ganz festgehalten zu werden, verursachte mir Panik. Yonann sah mich verständnislos an, eine steile Falte zwischen ihren Augenbrauen über der Nase. Einige Momente dehnte sich zwischen uns das Schweigen, bis ich tief einatmete und meine Hände, die ich unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte, wieder entspannte. Yonann schüttelte ungläubig den Kopf.
„Aber woher weißt du das? Sie sollten doch hinter uns bleiben. Wenn sie wirklich schon da sind und auf uns warten, wie sind sie an uns vorbeigekommen?“
„Frag mich nicht. Sie sind Königsgardisten. Sie schaffen alles, was sie sich vornehmen. Ich weiß, dass sie schon da sind.“
Yonann zog ihre Brauen noch weiter zusammen.
„Das verstehe ich nicht. Wie kannst du dir so sicher sein?“
Ich stellte mich schräg hinter sie und richtete ihren Blick aus, bis sie dorthin blickte, wo sich das befand, was ich ihr zeigen wollte: der Gardistenübungsplatz auf den Wiesen am Fluss nicht weit vom Stadttor. Ich erinnerte mich nur zu gut an den Platz, weil es dort gewesen war, dass ich versehentlich angeschossen wurde. Nahe dem Fluss waren einige Zelte aufgebaut, größere Mannschaftszelte und eine Handvoll kleinerer Zelte für Offiziere. An dem Fahnenmast in der Mitte der Zelte waren zwei Fahnen hochgezogen worden statt wie gewöhnlich nur einer. Beide zeigten die ylkanischen Farben mit dem blauen Drachen auf silbernen Grund. Auf der größeren, die jeden Tag verwendet wurde, befand sich zwischen den beiden Drachenköpfen das Wappen der Stadt und auf der kleineren Fahne darüber eine Krone über zwei gekreuzten Schwertern. Im Stillen sagte ich Yl und Wyr Dank, dass die alten Vorschriften hier so streng eingehalten wurden.
„Siehst du das Gardistenlager? Da ist der Beweis am Fahnenmast! Die zweite Fahne wird nur aufgezogen, wenn die Myrtarlenel - also meine Schwestern - zu Gast in einer Stadt oder einem Lager sind. Sie konnten es nicht verhindern, es ist nun mal Vorschrift. Ich wusste, dass sie versuchen würden uns den Weg abzuschneiden! Ich wusste es!“
Yonann zuckte hilflos die Schultern.
„Nun gut, dann sind sie eben dort. Aber vielleicht hatten sie einen anderen Grund? Vielleicht wollen sie hier etwas anderes erledigen, als Tarnung oder so? Warum glaubst du, dass sie uns aufhalten wollen?“
„Weil sie so sind. Ich kenne sie eben. Sie denken, es ist zu unserem eigenen Besten.“
„Aber haben sie nicht die Befehle von den Kerlonel?“
„Schon, aber wenn sie uns dazu bringen, freiwillig aufzugeben, was in ihren Augen eine Selbstmordaktion ist, dann handeln sie den Befehlen nicht zuwider. Und sie werden alles versuchen um das zu erreichen. So war es schon immer, sie haben sich schon immer für mich verantwortlich gefühlt, und für Aridys. Aber am meisten für mich. Mehr noch als meine Eltern und meine Brüder. Als ich klein war, hatte ich ständig das Gefühl von ihnen bewacht zu werden. Aridys und ich haben uns oft einen Spaß daraus gemacht ihnen zu entwischen. Später, als wir erwachsen wurden, hat es nachgelassen, aber seit Aridys fort ist ...“
„Das muss ein schwerer Schlag für sie gewesen sein.“
„Ja. Und danach ließen sie mich nicht mehr aus den Augen. Und jetzt, gerade als sie denken mussten, dass sie mich in Sicherheit gebracht hätten, kommt die nächste Gefahr. Warum glaubst du habe ich darauf bestanden, dass sie erst später eingeweiht wurden, als wir schon weg waren? Sie hätten unserem Plan niemals zugestimmt und uns fortgelassen. Nicht diese beiden, nicht ohne Kampf. Meine Zwillingsväter wussten das auch.“
Yonann schüttelte eigensinnig den Kopf.
„Selbst wenn es so wäre, meinst du nicht wir könnten mit ihnen reden, es erklären?“
„Du kennst sie nicht, sonst würdest du es verstehen. Du warst nur ein paar Tage mit ihnen zusammen. Sie können nicht anders, sie würden niemals zulassen können, dass ich mich in Gefahr begebe, ohne wenigstens zu versuchen es zu verhindern.“
Paradoxerweise war es mit Yonanns Menschenkenntnis tatsächlich nicht sehr weit her. Vielleicht ist es so, dass sich die balehsischen Tarlenel zu sehr auf ihre Clangabe bei der Beurteilung von Gefühlen verlassen und niemals lernen Menschen unabhängig davon zu einzuschätzen. Noch dazu war Yonann sehr gutgläubig und immer bereit über die Schwächen von anderen Menschen hinwegzusehen. Ich spürte, dass ich sie immer noch nicht überzeugt hatte und kämpfte gegen eine neuerliche Welle von Ärger und Panik an. Um keinen Preis wollte ich mich mit Yonann streiten, aber alles in mir drängte darauf unverzüglich den Weg zur Klamm einzuschlagen, ohne den Umweg über die Stadt. Ich schloss die Augen und zwang mich erneut dazu ruhig zu bleiben. Wenn ich die Kontrolle verlor und Yonann einfach anbrüllte, so wie es mir bei Mendy immer wieder passiert war, dann war alles vorbei.
„Vor einem Jahr .. als ich aus dem Schloss floh – da hätte nicht viel gefehlt und meine Schwestern hätten mich eingeholt und mit Gewalt zurück ins Schloss gebracht. Ein paar Gardisten hatten mich schon in einem Gasthof festgesetzt, aber ich konnte noch durch ein Fenster entwischen. Seitdem … seit damals weiß ich wozu meine Schwestern fähig sind. Warum meinst du sind sie persönlich zum roten Berg gekommen, um uns zu holen, wo doch ein paar gewöhnliche Gardisten völlig ausgereicht hätten?“
Yonann schwieg und kaute auf ihrer Unterlippe.
„Und wenn sie uns finden – wäre das wirklich so schlimm?“ fragte sie endlich.
„Ja“ sagte ich entschieden. “Ich will das nicht. Ich will ... ich muss alleine meine Schwester finden. Ich kann sie nicht dabei haben. Es geht nicht.“
Yonann seufzte und ließ resignierend die Schultern sinken.
„Nun gut. Dann gehen wir eben nicht nach Ylkurin. Wie weit ist es denn zur Klamm? Wie kommen wir von hier aus dahin?“
Ich legte die Arme um sie und küsste sie, bis uns beiden die Luft wegblieb.
„Meine arme Chryng. Hier, rechts an diesem Berghang führt ein Weg an dem Tal vorbei und dann hinauf bis zu der kleinen Hochebene vor der Schlucht. Es ist ungefähr so weit wie zu der Stadt, nur ein wenig steiler. Da oben gibt es zwar kein Badhaus und keine Herberge, aber einen Sommerhof, wo wir uns mit Proviant versorgen können und einen kleinen See mit einer heißen Quelle.“
Yonanns Miene hellte sich sofort auf. „Wirklich? Dann lass uns gehen. Was ist ein Sommerhof?“
„Eine Art Bauernhof, der nur im Sommer betrieben wird, in dem die Viehhirten der Umgebung im Sommer wohnen. Sie haben ihre Hütten und Sommerweiden überall hier in den Bergen, aber in dem Sommerhof sammeln sie sich vor dem Abtrieb.“
„War der Abtrieb nicht schon, vor dem Drachenfest?“
„Ja, und deshalb wird da oben jetzt wenig los sein, es bleiben aber immer ein paar Leute das ganze Jahr dort - Hirten und Jäger, und natürlich die Besitzer des Hofs.“
„Können wir ihnen trauen, dass sie nicht deine Schwestern benachrichtigen?“
„Es gibt ein Signalfeuer da oben, aber nur für Notfälle und man braucht sowieso mindestens vier Stunden von der Stadt zum Sommerhof. Es könnte höchstens sein, dass sie schon einen Gardisten vor der Schlucht postiert haben. Aber das glaube ich eher nicht und wenn doch, kann er uns auch nicht aufhalten.“
Tatsächlich war ich mir da nicht so sicher, wie ich vorgab, aber es hatte keinen Sinn, sich jetzt schon Gedanken darüber zu machen. Yonann schien das ähnlich zu sehen, sie blickte noch ein letztes Mal bedauernd zur Stadt hinüber und machte dann ihr Pferd wieder los.

Als wir den Sommerhof erreichten - sogar etwas früher als erwartet, am späten Nachmittag, gute drei Stunden vor Sonnenuntergang - trafen wir niemanden dort an. Ich konnte mir aber denken, wo die Bewohner und die restlichen Besucher waren. Nun da der Dauerregen des letzten Mondviertels endlich aufgehört hatte und es wieder warm geworden war, konnten sie nur beim nahegelegenen See sein, zum alljährlichen Krebsfischen. Der See war nur etwa 10 Minuten von dem Hof entfernt und befand sich in einer kreisrunden tiefen Mulde mitten in der sonst eher flachen Hochebene vor Yls Wall, so tief am Grund der Kuhle, dass man ihn erst ganz sehen konnte, wenn man am ihrem Rand stand. Auf der anderen Seite strebten die grauen Felswände von Yls Wall schroff und steil empor, und die gezackten, teilweise schneebedeckten Gipfel spiegelten sich in dem klaren, tiefblauen Wasser. Yonann schien sich förmlich in dem Anblick zu verlieren und mochte sich kaum losreißen. Ich zeigte ihr wie der Weg weiter um den See herum zu der Klamm führte, entlang dem kleinen Seitenarm des Ylkur, der in den See floss. Wenn man wusste wonach man suchte, konnte man auch den Eingang der Klamm erkennen, obwohl er von einigen Bergkiefern und Felsbrocken verdeckt wurde. Weil der Weg hinunter zum See so steil war, stiegen wir ab und führten die Pferde und unser Packtier am Zügel. Ich hatte mich schon vor einiger Zeit entschieden, die Pferde nicht durch die Klamm mitzunehmen, weil wir nicht genug Futter für sie mitnehmen konnten, und das stämmige kleine Bergpony, das wir als Packtier mitgenommen hatten, für unsere Zwecke völlig ausreichte. Es war ein genügsames und geduldiges Tier, recht niedlich anzuschauen mit seinem braunschwarzen dichten Fell, den langen Ohren und den großen, samtschwarzen Augen und in seinen Gewohnheiten so regelmäßig, dass man die Tageszeit an ihm ablesen konnte. Es gehörte meinem Bruder Erlda, der es nur „Benkal“ nannte, das ylkanische Wort für ein nützliches, gutartiges Haustier. Da uns bis jetzt kein besserer Name eingefallen war und es dem Packtier völlig egal zu sein schien, wie man es rief, solange es gut versorgt wurde, hatten wir es dabei belassen.
Wir konnten schon von weitem das Geschrei der Kinder hören, die sich an der heißen Quelle des Sees vergnügten. Unten angekommen sahen wir die restlichen Sommerhofler, die es sich auf der Wiese am See gemütlich gemacht hatten. Sie hatten mehrere Zelte und kleine Hütten errichtet und ein großes Lagerfeuer entzündet, über dem ein langer Grillrost angebracht war. Auf einem Klapptisch neben dem Feuer standen schon einige Körbe mit frisch gefangenen Krebsen sowie große Schüsseln mit Kartoffeln und Kräutern bereit zum rösten. Die meisten der Familienangehörigen und Gäste waren noch mit dem Auslegen der Krebskörbe beschäftigt, aber die beiden Besitzer des Sommerhofs - ein älteres Zwillingspaar, an das ich mich noch von meinem letzten Besuch vor drei Jahren her erinnerte - standen nahe beim Grill und sprachen mit einem Gardisten, der mit dem Rücken zu uns bei ihnen stand. Er war offenbar grade erst angekommen, weil er sein Pferd noch am Zügel hielt. Es strebte immer wieder zum See hin, weil es trinken wollte und er riss es jedes Mal ungeduldig zurück und redete weiter heftig gestikulierend auf die Sommerhofzwillinge ein. Es gab keine Gelegenheit mehr zur Umkehr, weil die Zwillinge uns schon bemerkt hatten und verblüfft zu uns herüber sahen. Der Gardist drehte sich zu uns um und brach mitten im Satz ab. Jetzt erst sah ich, dass es eine Gardistin war, mit den Rangabzeichen einer Myrial, hochaufgeschossen und knochig, fast einen Kopf größer als ich. Ihre langen weißblonden fest geflochtenen Zöpfe hingen ihr fast bis zu den Hüften herunter. Sie hatte Mühe ihre Überraschung zu verbergen. Ohne ein weiteres Wort kehrte sie den alten Zwillingen den Rücken und kam uns mit langen Schritten entgegen. Ich konnte mir schon denken, was sie von uns wollte und hätte sie am liebsten links liegen gelassen. Ich komme mit Gardisten nur schwer zurecht, vor allen mit denen, die noch nach der alten Schule aus der Zeit des vorherigen Königspaares ausgebildet wurden und mehr Wert auf militärisches Gehabe und eine schnelle Karriere legen als auf gesunden Menschenverstand, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft. Vielen von ihnen ist deutlich anzumerken, dass sie insgeheim auf gewöhnliche Ylkaner herabsehen, so sehr sie auch versuchen, es zu verbergen. Es muss wohl daher kommen, dass sie für die Sicherheit des Landes und des Volkes verantwortlich sind und somit immer das Gefühl haben, ihre Schutzbefohlenen nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst schützen zu müssen. Sogar den Clanangehörigen - die Könige und meine Schwestern natürlich ausgenommen - bringen sie oft nur wenig Respekt entgegen, wie ich es bei meinen Friedensdiensten immer wieder erlebte. Seit meine Schwestern zu Myrtarlenel ernannt worden waren, wurden die Verhältnisse langsam besser, aber es war noch ein langer Weg dorthin.
Die Gardistin kam heftig atmend vor uns zum stehen und deutete eine knappe Verbeugung an.
„Tarlon Yenda .. Tarlil - ähm ... Yl sei Dank, dass ich euch treffe!“
„Friedvolle Wege, Myrial“ sagte Yonann freundlich und die Gardistin wurde noch röter. Es war ganz offensichtlich, dass sie Yonanns Namen vergessen hatte und das brachte mich noch mehr gegen sie auf. Sie konnte noch nicht lange zu der Truppe meiner Schwestern gehören, und ich hoffte, dass die beiden dafür sorgen würden, dass sich ihr Benehmen änderte oder sie auf einen Außenposten in der Provinz versetzt würde.
„Was ist denn so dringend? Habt ihr eine Nachricht für uns? Geht es meinen Schwestern gut?“ fragte ich kühl. Die Myrial schluckte.
„Nein - ich meine ja, den Myrtarlenel geht es sehr gut. Sie wollen sich mit euch beraten und ich habe den Befehl euch zu ihnen zu bringen.“
Die beiden Sommerhofler waren näher gekommen und ließen sich kein Wort entgehen. Beide waren typische Südylkaner, untersetzt und kräftig gebaut, mit wettergegerbten Gesichtern, tiefliegenden blassblauen Augen und Haaren so glatt, hart und dick wie die eines Pferdeschweifs, vom Wesen her zwar freundlich, doch sehr bedächtig und zurückhaltend. Sie sahen sich sehr ähnlich mit ihren kurzen spitzen Nasen, den hohen Wangenknochen und dem langen Haar, dass sie beide offen trugen, nur durch – natürlich identische – Stirnbänder aus dem Gesicht gehalten. Ich konnte erkennen, dass auch ihnen die Myrial bereits äußerst unsympathisch war. Yonann lächelte sie an und nickte ihnen höflich zu und nach eingehender Musterung lächelten und nickten beide bedächtig und würdevoll zurück.
„Das ist gegen die Abmachung“ sagte ich so fest ich konnte und dann bereute ich es fast wieder. Es bringt einfach nichts mit Gardisten der alten Schule zu argumentieren. Befehle kommen bei ihnen an oberster Stelle und werden grundsätzlich nicht hinterfragt.
„Aber .. die Situation hat sich doch geändert.“ Die Myrial versuchte sich autoritär zu geben. „Und ich habe den Befehl ...“
„Was meint ihr damit, die Situation hat sich geändert?“ fragte Yonann scheinbar verwirrt. Die Gardistin sah sie an, aber vermochte ihrem Blick nicht standzuhalten. Vielleicht empfand sie, wie viele Ylkaner, Yonann als zu fremdartig. Ich konnte es verstehen, aber es ärgerte mich trotzdem.
„Sind denn die beiden Magier gefunden worden?“ fragte ich. Der Myrial blieb der Mund offen stehen.
„Die Magier? Aber - nein, nichts dergleichen.“
„Was soll sich dann an der Situation geändert haben? Es war doch abgemacht, dass Yo... - dass Barys und ich uns auf die Suche begeben und meine Schwestern mit den Gardisten sich einen Tag hinter uns halten. Eine Tagesreise hinter uns, Myrial, nicht mehr und nicht weniger. Ist es nicht so? Bitte erinnert meine Schwestern noch einmal daran, offensichtlich haben sie es vergessen.“
„Aber, Tarlon, Ihr seid doch offensichtlich dabei Ylkan und damit auch den Nohkran zu verlassen -“
„Ja, und?“ Ich versuchte soviel Schärfe in meine Stimme zu legen wie es ging. Die Myrial lief wieder rot an.
„Nun - das war nicht vorgesehen -“
„Ich verstehe nicht, was sich dadurch ändert.“
„Aber – nun - hinter dem Wall, außerhalb des Nohkran endet die Gesetzeshoheit der Kerlonel. Dort ist es nicht mehr sicher und wir können dann Eure Sicherheit nicht mehr gewährleisten. Und die Sicherheit der Tarlil, die unser Ehrengast ist. Wenn ihr etwas zustößt, müssen wir uns vor der Kerlil von Baleh verantworten ...“
„Ihr könnt auch mit mir sprechen, Myrial, ich stehe direkt hier.“ Yonann klang immer noch sehr freundlich, aber ich konnte ihre Gereiztheit deutlich spüren. Die Myrial verbeugte sich stumm gegen sie.
„Was meint ihr mit nicht mehr sicher? Was soll denn dort sein hinter dem Wall? Bergrutsche? Ungeheuer? Trolle, die nur darauf warten uns zu verschlingen?“
„Nun, Verbrecherbanden, Gesetzlose, Aufständische ... Solltet ihr in ihre Gewalt geraten, könnten die Kerlonel in eine unangenehme Situation gebracht werden ...“
„Oh? Aufständische? Wie viele gibt es denn noch von ihnen? Es hat nur eine Gruppe von Aufständischen gegeben, die uns bekannt war, und von denen wurden die meisten hingerichtet. Und dass diese Gruppe aus dem Land hinter der Grenze hervorging ist mir neu. Ich hatte bis jetzt nur gehört, dass sie hier in Ylkan entstanden ist.“
Die Myrial schluckte und krampfte ihre Hand um den Zügel. „Aber die Kyakadrin ..“
„Ah. Jetzt kommen wir zum Kern der Sache. Die Kyakadrin sind also jetzt die Gefahr? Ein Volk, das kaum ein Ylkaner jemals zu Gesicht bekommen hat? Gelten jetzt alle Kyakadrin als Verbrecher?“
Die Myrial versteifte sich zusehends. Als der Sommerhofler neben sie trat um ihr das Pferd abzunehmen, zuckte sie zusammen und überließ ihm dann unwirsch die Zügel. Der Sommerhofler winkte ein paar Kindern zu, und bedeutete ihnen das Pferd der Myrial sowie unsere beiden Pferde und Benkal zum Wasser zu führen. Er selbst blieb mit seiner Schwester bei uns stehen und ließ sich kein Wort entgehen.
„Es ist ihr Hoheitsgebiet ...“
„Und deswegen lassen sie niemanden hinein? Das wäre das erste, das ich höre.“ Ich wandte mich an die Sommerhofler. „Tara Alwylin, Taro Albyn, vergebt mir, dass ich euch noch nicht begrüßt habe. Ich weiß, dass ihr schon einige Male die Klamm durchquert habt. Wie weit seid ihr schon in das Land hinter dem Wall vorgedrungen?“
Die Sommerhofzwillinge sahen sich an und Alwylin lächelte wieder bedächtig. „Friede auf euren Wegen, Tarlon Yenda. Wir freuen uns sehr euch wieder zu sehen. Ihr und Tarlil Barys sind uns herzlich willkommen. Ja, wir sind schon durch die Klamm gegangen. Ich kann nicht sagen, dass ich das Land hinter dem Wall so gut kenne wie unseres hier, aber wir waren schon einige Male dort und sind auch sehr weit gereist.“
„Und wie weit genau?“
„Nun, ich kann nicht mehr sagen, wie viele Tagereisen es waren, aber einmal sind wir bis zur Küste gekommen. Es war das erste Mal, dass wir das Meer gesehen haben.“
Die Myrial starrte Alwylin fassungslos an. Anscheinend war sie noch nie zum Dienst an der äußeren Grenze von Ylkan eingeteilt worden, wo derartige Erkundungsgänge gang und gäbe sind.
„Es ist ein recht verlassenes Land. Nur sehr wenige Menschen leben dort. Und ich habe noch nie einen Kyakadrin zu Gesicht bekommen, nicht einmal während wir hinter dem Wall waren“ fügte ihr Bruder gelassen hinzu. „Ich glaube nicht, dass es dort überhaupt welche gibt.“
„Aber was sind das für Menschen, die dort leben?“ fragte die Myrial scharf. „Doch keine Ylkaner?“
Alwylin blickte sie ausdruckslos an. „Ylkaner? Nun, ich denke schon, dass es Ylkaner sind. Der Abstammung nach jedenfalls.“
„Aber warum leben sie dann dort und nicht hier?“
Alwylin und ihr Bruder blickten sich an und zuckten ratlos die Achseln.
„Vielleicht weil es ihnen gefällt ...?“ bemerkte Yonann spitz, bevor sich die Zwillinge zu einer Antwort entschließen konnten. Die Myrial bekam plötzlich rote Flecken im Gesicht, aber sie wusste sich zu beherrschen.
„Ich vermute eher, dass sie sich vor den Steuern drücken wollen“ schnappte sie zurück. Albyn schien dieses Argument sorgsam abzuwägen, bevor er antwortete.
„Steuern, ja.. Steuern, die zahlen sie nicht. Sie können sie ja auch gar nicht zahlen. Weil es dort niemanden gibt, an den sie sie zahlen können.“
Alwylin kicherte und grinste ihren Bruder anerkennend an. Die Myrial verkniff sich sichtlich eine Entgegnung, aber ich konnte mir denken, was sie dachte - Menschen, die es vorzogen außerhalb des Nohkrans und seiner Gesetze zu leben, konnten nur Gesetzlose oder deren Nachfahren sein.
„Es sind alte Ylkaner“ fügte Alwylin hinzu. „Sie sprechen noch die alte Sprache.“
„Von was leben sie? Doch bestimmt von Schmuggel?“
Die Zwillinge sahen die Gardistin groß an. „Schmuggel? Was sollten sie denn schmuggeln?“
„Nun .. Schlafkraut? Drachenfeuer?“ Die Gardistin zuckte ungeduldig die Achseln.
„Schlafkraut wächst nicht in den Bergen“ sagte Yonann und kam den Sommerhoflern damit zuvor, die vor jeder Antwort eine bedächtige Pause einlegten.
„Und Drachenfeuer und andere Branntweine werden nicht mehr geschmuggelt, seit meine Zwillingsväter die Preise gesenkt haben“ fügte ich hinzu. Der Myrial wurde das Thema offenbar immer unangenehmer.
„Diese Menschen hinter dem Wall .. die alten Ylkaner .. sie versorgen sich selbst. Sie halten Vieh... Rinder und Schafe .. ganz so wie wir hier.“ Albyn schien jedes seiner Worte abzuwägen und der Myrial war deutlich anzumerken, wie ungeduldig sie das machte. Sie musste an sich halten um dem Sommerhofler nicht ins Wort zu fallen.
„Wie dem auch sei“ sagte sie, als Albyn erstmal nichts weiter einzufallen schien „ich bin sicher, dass die Myrtarlinel alle Informationen über das Land hinter dem Wall sehr zu schätzen wissen und sie werden sich sicher gerne mit euch darüber beraten, wenn noch Zeit dafür bleibt. Aber, Tarlon, ich muss euch noch einmal darum bitten, mich nach Ylkurin zu euren Schwestern zu begleiten, so lange noch Zeit ist.“
„Noch Zeit? Mein Bedauern, Myrial, aber soviel Zeit bleibt uns nicht mehr. Wir wollen morgen bei erstem Tageslicht durch die Klamm. Falls meine Schwestern sich vorher noch mit mir beraten wollen, dann müssen sie bis dahin herkommen. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.“
Die Myrial starrte uns an, öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Fast tat sie mir ein wenig leid. Aber nur fast. Als offensichtlich wurde, dass sie auch weiterhin nichts sagen würde, wandte ich mich den Zwillingen zu und nahm Yonanns Hand.
„Wie ich sagte, wollen Tarlil Barys und ich möglichst früh aufbrechen. Wir brauchen eine Unterkunft für heute Nacht und Proviant für die nächsten Tage. Außerdem möchte ich unsere Pferde hier lassen.“
Albyn und Alwylin sahen sich an und obwohl in ihren Gesichtern nichts zu erkennen war, wusste ich, dass sie innerlich grinsten. „Die Tarlil und Ihr seid uns natürlich herzlich willkommen, Tarlon“ sagte Alwylin. „Es ist schade, dass ihr nicht länger bleiben könnt. Wir wollten diese Nacht hier am See verbringen. Wollt ihr hier bei uns am See bleiben, oder sollen wir euch zum Hof bringen?“
„Ich bleibe gerne hier“ sagte Yonann schnell. „Yenda hat gesagt, hier gibt es eine heiße Quelle?“
Albyn nickte bedächtig. „Aber sicherlich. Ihr könnt dort baden - und dann mit uns essen. Und ihr, Myrial -“
„Ich kann mich nicht aufhalten“ sagte sie schroff. „Da ich euch nicht umstimmen kann, muss ich umgehend den Myrtarlenel die Nachricht von eurer Ankunft hier überbringen.“
„Tut das. Und richtet ihnen von mir aus, falls sie es sich einfallen lassen, noch in dieser Nacht hier herauf zu kommen, rate ich ihnen dringend davon ab. Es ist viel zu gefährlich und die Wege sind zu steil. Ich möchte nicht, dass ihnen meinetwegen etwas geschieht.“
Die Myrial sah jetzt wirklich aufgebracht aus. „Aber dann – warum könnt ihr nicht hier auf sie warten? Ein paar Stunden Aufenthalt nur, wie können die soviel ausmachen?“
„Ein paar Stunden können alles ausmachen. Eine Stunde oder weniger könnte darüber entscheiden, ob ich meine Schwester noch lebend finde oder tot.“
Die Myrial schluckte, aber hielt meinem Blick stand. Ich sah ihr an, dass sie nicht überzeugt war.
„Habt ihr einen Zwilling, Myrial?“ fragte Yonann unvermittelt. Für mich hatte sich diese Frage gar nicht gestellt, denn es war offensichtlich, dass sie keinen Zwilling hatte, sonst wäre sie niemals alleine hier gewesen. Zwillinge werden von Gardistentruppen immer zusammen auf Missionen geschickt. Für einen Ylkaner ist das zudem eine sehr unhöfliche Frage und das Gesicht der Myrial verschloss sich.
„Nein, Tarlil, ich habe keinen Ylm“ sagte sie mit gepresster Stimme. „Was hat das damit zu tun?“
„Nun, wenn ihr einen - Ylm - hättet, dann wüsstest ihr wie Yenda zumute ist. Ich bin sicher, dass er die Sorge seiner Schwestern um ihn und mich durchaus versteht und auch zu schätzen weiß, aber seine Sorge um seine Zwillingsschwester hat für ihn Vorrang. Und ich denke, dass die Myrtarlinel das auch verstehen werden. Schließlich war Aridys auch ihre Schwester.“
Die Myrial sah Yonann an und nickte dann knapp. „Ich werde es den Myrtarlenel ausrichten. Friedliche Wege, Tarlil, und Euch, Tarlon.“ Damit drehte sie sich abrupt um und ging zum Seeufer, wo die Kinder die Pferde versorgten. Ich wartete, bis sie aufgestiegen war und den Weg nach oben einschlug und seufzte dann erleichtert auf.
„Hoffentlich kommt sie gut nach Ylkurin, bevor es ganz dunkel wird“ sagte Albyn ruhig.
„Ja, es wäre schade um das schöne Pferd, wenn ihr etwas zustoßen sollte“ pflichtete ihm seine Schwester trocken bei.
„Ylma! Sie tut doch nur ihre Pflicht ..“
„Sie war wirklich unhöflich. Findest du nicht? Früher waren die Gardisten anders, oder nicht? Dieser Ton von ihr! Sie tat doch gerade so, als wäre Tarlon Yenda ein flüchtiger Verbrecher und wir würden ihm helfen...“
„Tara Alwylin“ sagte ich. „Ich muss mich im Namen meiner Schwestern für das Benehmen der Myrial entschuldigen. Sobald ich sie das nächste Mal treffe, werde ich sie darauf hinweisen.“
„Ah, aber das wird vermutlich nicht so bald sein, oder?“ Die Sommerhoflerin grinste spitzbübisch. „Nun, wir möchten uns da lieber raushalten. Und eigentlich sollten wir euch auch nicht noch unterstützen, wenn ihr euch in Gefahr zu begeben wollt.“
„Das braucht ihr auch nicht. Ich werde mich mit meinen Schwestern treffen, aber erst wenn ich es für richtig halte.“ Alwylin kicherte und ich fuhr hastig fort „Wir brauchen lediglich etwas Reiseproviant - und wir wollten unsere Pferde hier lassen.“
„Das würde ich euch auch raten“ sagte Albyn bedächtig. „Hinter der Klamm - da ist es nicht gut für Pferde. Das mit dem Packtier geht, aber nicht mit Pferden, da habt ihr ganz recht. Wollt ihr jetzt mitkommen und sehen, was wir hier haben, das wir euch mitgeben können?“
Ich sah Yonann an, die sehnsüchtig zum See herübersah und Alwylin lächelte. „Ich zeige der Tarlil schon mal wo sie baden kann“ sagte sie. „Ihr könnt dann später zu ihr.“

Die heiße Quelle sprudelte am westlichen Ende des Sees, wo das Gelände felsig und flach war, unter einer überhängenden Felsklippe als heißer Strom in den See. Direkt in der kleinen Höhle war das Wasser noch fast zu heiß zum baden, aber in einiger Entfernung, wo sich der See verbreiterte und langsam tiefer wurde, waren die Wassertemperaturen genau richtig.
Ich fand Yonann bei einer kleinen flachen Felsnische nicht weit vom Ufer der Länge nach genießerisch im Wasser ausgestreckt, mit ihren Haarmassen ringsum sie herum im Wasser ausgebreitet treibend. Die Sonne war schon seit einiger Zeit hinter den Bergen verschwunden und hier unten in der Kuhle wurde es langsam dunkel. Die Sommerhofler hatten sich um das Lagerfeuer versammelt und wir waren allein an der Quelle. Ich legte meine Kleider zu denen Yonanns ans Ufer, und watete zu ihr hinaus. Sie zog mich zu sich und küsste mich und ich strich ihr die nassen Strähnen aus dem Gesicht. Es war völlig anders als bei unserem ersten gemeinsamen Bad im Grenzhof am Rand von Baleh, aber ich musste trotzdem wieder daran denken, wie jedes Mal wenn ich mit Yonann zusammen bade. Es war so typisch von ihr gewesen, mir auf so eindeutige Weise zu zeigen, dass sie mir vertraute und bestrebt war, es einfacher für uns beide zu machen uns aneinander zu gewöhnen. Natürlich hatte sie sehr gut gewusst, dass ich mir keine Annäherung erlaubt hätte, selbst wenn mir danach zumute gewesen wäre, aber dennoch war es eine großmütige und warmherzige Geste von ihr gewesen, für die ich ihr überaus dankbar war. Und ich muss zugeben, dass ich schon damals nicht ganz so uninteressiert war, wie ich vorgegeben hatte. Man muss schon aus Stein sein, um an Yonann nicht interessiert zu sein...
Sie hielt mich ein bisschen von sich ab und sah mir ins Gesicht, dann lachte sie.
„Du musst nachher für sie spielen, oder?“
„Ich komme wohl nicht drum rum“ gab ich zu und zog sie näher an mich heran. „Albyn sagte, sie hätten schon lange keinen Barden mehr zu Besuch gehabt. Aber immerhin konnte ich ihn auf eine Stunde drücken. Schließlich müssen wir morgen früh aufbrechen.“
Yonann drückte sich fester an mich. „Dann müssen wir uns wohl beeilen …mit dem baden zumindest ...“
Ich ging etwas in die Hocke, so dass das flache Wasser uns beiden bis zu den Schultern ging und ließ meine Hände an ihr herab gleiten. „Keine Sorge, wir haben noch Zeit. Hier draußen wird sowieso alles... ein wenig langsamer angegangen, das ist nun mal so ...“
Yonann kicherte. „Das hab ich gemerkt. Die arme Myrial, sie kannte das wohl auch noch nicht. Ist es denn nur hier so?“
„Ihrem Akzent nach kommt sie aus der Gegend um Martyl - das ist im Norden, am anderen Ende von Ylkan. Mag sein, dass es da ein bisschen schneller zugeht.“
Yonann klammerte sich fester an meine Schultern und ihre Haare hüllten uns förmlich ein. „Vielleicht entgeht ihnen dadurch einiges ...“
„Ganz sicher tut es das. Ich musste es auch erst lernen, dass... man vieles... auch etwas langsamer angehen... kann... es hat... viele Vorteile…“
„Yenda ..“
„Mmmh..?“
„Vielleicht nicht ganz so langsam .. ja?“

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