Babas Welt
Freitag, 25. Dezember 2009
Kapitel 26

Kapitel 26

Jenseits der Zeit

Es war ein anderer Jenseitiger, als der dem ich früher begegnet war. Äußerlich wirkte er zwar genauso auf mich wie der im Rotberg, denn wie bei diesem konnte ich in seiner Erscheinung Gesichter und Gestalten von Menschen wahrnehmen, wie mehrfach gespiegelte Spiegelbilder in den Facetten eines farblosen Kristalls, da dies die einzige Art ist, mit der die Jenseitigen von uns wahrgenommen werden können. Aber selbst wenn ich nicht mit angesehen hätte, wie sich der Jenseitige im Rotberg in Yonanns Flamme auflöste, hätte ich diesen von ihm unterscheiden können. Der Unterschied war deutlich erkennbar, etwas grundlegend anderes in seiner Haltung und seinem Ausdruck, das auf mich wirkte wie wenn ein bekanntes Musikstück in einem anderen Tempo oder Tongeschlecht gespielt wird. Und ich spürte auch sofort, kaum dass ich seiner ansichtig wurde, dass dieser Jenseitige, anders als der im Rotberg, zu keinen Verhandlungen bereit war, ja sich uns gegenüber nicht geöffnet hatte. Er hatte kein Anliegen, keinen Wunsch, den ich ihm im Austausch erfüllen konnte. Er war einfach da, erfüllte die Höhle mit blendendem Licht und wartete ab, in kalter, unendlich fremd erscheinender Ruhe.
Die Magierin schien wie vom Schlag getroffen zu sein. Sie starrte den Jenseitigen aus hervorquellenden Augen an und wich mit hilflos herumwedelnden Armen vor ihm zurück. Dann stieß sie an meinen Arm und wurde dadurch wieder an den Traumbruder erinnert, jedenfalls sah sie sich entsetzt nach ihm um. Und fand sich zwischen dem Traumbruder und dem Dämon wieder und das schien sie völlig aus der Fassung zu bringen. Ächzend und würgend vor Angst stolperte sie rückwärts, bis sie ihren Bruder erreichte, der den Jenseitigen fassungslos anstarrte, mit aufgerissenen Augen und halboffenem Mund.
„Da.. da…“ die Magierin ruderte mit den Armen in der Luft. „Tu doch was!!“
Der Magier schluckte, dann hob er seine Hand, so dass der weiße Ring nach außen gekehrt war. Er hielt ihn sich vor das Gesicht und umfasste das Handgelenk mit seiner anderen Hand. Der Strahl aus dem Ring richtete sich auf den Traumbruder, der prompt zurückwich, als ob das Licht des Rings ihn zurückdrängte, wie die Sonne den Nebel. Yonann erwachte aus ihrer Erstarrung und versuchte die Hand des Magiers herunterzureißen.
„Nicht! Hör auf damit...“
Es war zu spät. Der Traumbruder erreichte den Jenseitigen, der ruhig auf der Stelle verharrte, als ginge ihn das alles nichts an. Der weiße Lichtstrahl richtete sich auf ihn und wurde einfach von ihm verschluckt, wie aufgesogen, so wie ein Schatten mit einem anderen verschmilzt oder besser das Licht einer Lampe mit Sonnenlicht. Der Traumbruder hielt dicht vor ihm an, als wollte er sich noch einmal abwenden, dann plötzlich tauchte er in ihn ein und schien mit dem Jenseitigen zu verschmelzen. Der Jenseitige hatte eine völlig andere Substanz als er, körperlich so wenig greifbar wie ein Gebilde aus Spiegelbildern ohne Spiegel und doch unleugbar vorhanden, während der Traumbruder kaum mehr war als ein Geist oder eben ein Traum, der Schatten einer Seele. Aber dennoch nahmen sie für einige Herzschläge den gleichen Raum ein, den gleichen Platz, und verwoben sich zu einer einzigen Gestalt. An dem Jenseitigen änderte sich nichts, mir kam es nur vor, als würde sich seine kristallspiegelartige Präsenz mit Nebel anfüllen, zarter Rauch ihn einhüllen.
Der Magier hielt seine Hand mit dem Ring an die Brust gepresst und stierte auf den Jenseitigen.
„Was ist das?“ fragte er heiser. „Wie kam es hierher?“
Ich hob Aridys etwas an und drückte mein Gesicht an ihre Schulter.
„Es ist ihr Bruder“ sagte ich und meine eigene Stimme klang mir fremd, wie weit entfernt und unendlich müde. „Ihr anderer Bruder. Er hat den Jenseitigen angelockt. War es nicht das, was du wolltest? “
Die Magierin sah sich unruhig um, als suchte sie einen Ausweg. Sie griff nach Yonanns Hand und zog sie am Arm zu sich, heftig keuchend.
„Verbrenn ihn!“ stieß sie heiser hervor. „Verbrenn ihn, bevor er uns alle umbringt! Jetzt, bevor er zurückkommt! Verbrenn sie beide! Na los doch, worauf wartest du?“
Yonann wand ihren Arm aus ihrem Griff ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sie presste die Lippen zusammen und ballte die Fäuste.
„Es ist zu spät“ sagte sie tonlos.
Sie hatte Recht. Die Nebel im und um den Jenseitigen lichteten sich, lösten sich auf. Der Jenseitige blieb da, aber schien allmählich etwas zurückzuweichen, sich zu entfernen, abzulösen. Und dort wo er gerade noch gewesen war, manifestierte sich an seiner Stelle der Traumbruder.
Er musste denselben Wandel vollzogen haben wie Aridys, nur in ungleich kürzerer Zeit. Während seine Schwester fast ein Jahr gebraucht hatte, um sich von ihrem Körper zu lösen und vollständig mit dem Jenseitigen zu vereinen, war der Prozess bei ihm ungleich schneller verlaufen, da er nie einen Körper bewusst gekannt hatte und nur Geist und Traum gewesen war, seit er in Aridys’ Traumwelt Zuflucht gefunden hatte. Und nun stand er vor uns, so körperhaft und real wie meine Schwester im Rotberg. Was vorher nur ein Traumbild, ein Gespenst gewesen war, hatte nun feste Gestalt angenommen: der knochige ausgezehrte Körper, einem Skelett ähnlicher als einem Menschen, die zotteligen langen weißgrauen Haare und die schwarzen Augen wie abgrundtiefe Löcher in dem Totenschädel. Er stand vor uns und schwankte auf seinen Füßen mit den langen, verwachsenen Knochenzehen und breitete seine hageren Arme zu beiden Seiten aus, wie um sein Gleichgewicht zu finden. Sein lippenloser Mund öffnete sich wie zu einem Schrei, doch er brachte nur ein Ächzen heraus. Und dann taumelte er auf uns zu.
Ich fühlte mich wie zur Eissäule erstarrt und konnte mich nicht bewegen. Aridys wurde mir auf einmal schwer wie Blei in den Armen und ich wünschte mir nichts sehnlicher als weglaufen zu können, vor dem Ungeheuer zu fliehen. Yonann hielt die Hände vor das Gesicht und keuchte nach Luft. Der Magier wich langsam zurück. Die Magierin blieb wo sie war, das Gesicht vor Ekel und Hass zu einer Grimasse verzerrt und die Zähne gebleckt. Der Traumbruder wankte mit ausgestreckten Armen auf sie zu.
Sie hielt ihm stand und schüttelte die Fäuste gegen ihn.
„Bleib fort von mir, du Ungeheuer!“ schrie sie ihn an. „Mach, dass du wegkommst!“
Sie versuchte ihn mit ihrem eigenen Ring von sich abzuhalten, doch das weiße Licht tat ihm nichts mehr. Der Traumbruder heulte heiser auf und schlang die Arme um sie. Zuerst wirkte es auf mich, als wollte er sich an ihr festhalten, vielleicht sogar bei ihr Trost suchen, obwohl sie ihn nach Kräften abwehrte. Dann wurde seine Umklammerung immer enger und sie konnte nichts gegen seine unmenschliche Kraft ausrichten. Er drückte sie an sich und sie hörte auf zu schreien, sondern zappelte nur noch und trat um sich, während sie nach Luft keuchte. Der Magier raffte sich zusammen und taumelte zu seiner Schwester. Er versuchte vergeblich, den Traumbruder von ihr wegzustoßen, aber konnte den Klammergriff nicht lösen.
Ich ging langsam in die Hocke, zitternd vor Schwäche und Kälte, und ließ Aridys sinken, bis sie halb auf dem Boden lag, mit dem Kopf an meiner Brust. Meine Hände bebten und meine Zähne klapperten, bis ich sie fest zusammenbiss. Der Magier versuchte den Traumbruder in den Arm zu beißen und trat ihm gegen die Beine, um die tödliche Umklammerung zu lösen, doch es half nichts. Das Gesicht seiner Schwester war blau angelaufen. Der Traumbruder drückte ihren Kopf nach hinten. Ich wandte den Kopf ab und schloss unwillkürlich die Augen, doch selbst über dem schluchzenden Keuchen des Magiers und dem Heulen des Traumbruders konnte ich deutlich hören, wie der Magierin das Genick brach.
Als ich wieder hinsah, stand der Magier Auge in Auge mit dem Traumbruder, der den leblosen Körper seiner Schwester immer noch umklammert hielt. Und direkt hinter dem Traumbruder, oder vielmehr um ihn herum, war der Jenseitige. Vielleicht hatte ihn der Todeskampf unwiderstehlich angezogen oder er konnte den Traumbruder nicht sich selbst überlassen, weil er immer noch ein Teil von ihm war.
Der Magier packte den Traumbruder am Hals und versuchte ihn zu würgen.
„Meine Schwester… Du hast meine Schwester getötet… Lass sie los, du Abschaum… Ich bringe dich um! Warum musstest du sie töten? Ich bringe dich um… und wenn es das letzte ist, was ich tue, ich töte dich, du hast meine Schwester getötet…“
*Nein. Du kannst ihn nicht töten.*
Der Jenseitige sprach mit einer kalten, gefühllosen und wie unkörperlichen Stimme. Ich hörte die Worte in meinem Kopf, so wie im Rotberg und Yonann tat es auch, ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen. Sie hielt sich die Arme um den Leib geschlungen während sie unverwandt auf den Jenseitigen starrte.
Der Magier stierte den Jenseitigen an, die Hände immer noch am Hals des Traumbruders. Dann hob er abwehrend die Hand mit dem Ring gegen ihn und als das nichts bewirkte – der Lichtstrahl aus dem Ring war fast unsichtbar in der Helligkeit des Jenseitigen – schüttelte er die Fäuste gegen ihn und stieß einen Strom von unflätigen Beschimpfungen aus, die meisten in einer Sprache, die ich nicht verstand. Der Traumbruder hob seine knochigen Hände, langsam, fast träumerisch, und fasste den Magier an den Kopf. Der brach seine Beschimpfungen plötzlich ab und versuchte zurückzuweichen, aber es war zu spät. Der Traumbruder öffnete seinen lippenlosen, zahnlosen Mund weit und blies den Magier mit einem Schwall Atem an. Der Magier heulte auf und schlug die Hände vors Gesicht, aber nicht bevor ich gesehen hatte, wie der Atem des Traumbruders ihn wie Feuer förmlich versengte. Ich hatte es nie zuvor gesehen, in keiner Geschichte war beschrieben worden, wie die Seuche gewirkt hatte, die von dem Geschöpf der Jenseitigen ausgegangen war und sich nach und nach ausgebreitet hatte, bis fast alle früheren Bewohner unseres Landes daran umgekommen waren. Trotzdem wusste ich, dass diese Verbrennung von dem Atem des Ungeheuers der Beginn des Seuchentodes sein musste. Der Magier taumelte fort und streckte abwehrend seine Hände von sich. Schaum troff ihm von den Lippen und seine Augen quollen ihm fast aus den Höhlen. Der Jenseitige und der Traumbruder, der sich jetzt ganz still verhielt, sahen regungslos und unbeeindruckt zu, wie er sich umdrehte und zum Höhlenausgang wankte, die Arme weit von sich gestreckt. Sein Keuchen steigerte sich zu unartikulierten Schreien, je mehr die Seuche von ihm Besitz ergriff. Er rannte zu den Felsen und weiter auf den Weg und seine Schreie und Fußtritte hallten von den Wänden wieder. Das Echo blieb, während das Fußgetrappel und die Schreie sich immer weiter entfernten. Dann hörten wir ein entferntes pfeifendes Sirren, gefolgt von einem dumpfen Schlag und zugleich brach das Geräusch der Schritte unvermittelt ab. Die Schreie erstarben in einem Gurgeln und kurz darauf verstummte auch das Echo.

Von weit fort konnte ich schwach Stimmengewirr vernehmen, aber wollte nicht begreifen, dass es irgendetwas mit mir zu tun haben könnte. Aridys in meinen Armen war kalt und schwer. Ich konnte ihren Atem hören, auf einmal sehr laut und eigentümlich rasselnd, und wusste, was es bedeutete. Es waren ihre letzten Atemzüge, die ich hörte. Der Traumbruder richtete seinen Blick auf mich, wie lauschend. Dann kam er langsam auf mich zu, gefolgt von dem Jenseitigen. Dicht vor mir kniete er nieder, den Blick unverwandt auf Aridys gerichtet. Ich spürte die brennende Kälte, die von ihm ausging, beinahe körperlich, so wie damals bei dem Wesen, das einmal Aridys’ Seele gewesen war, und musste an mich halten, um nicht zurückzuschrecken. Doch der Traumbruder beachtete mich gar nicht. Er umfasste Aridys’ Kopf mit einer knochigen Hand und hielt sein Gesicht dicht an ihres, dabei wimmerte er leise, beinahe unhörbar, und wiegte sich vor und zurück. Ich hob den Kopf und erblickte einen Mann, der auf einmal hinter dem Traumbruder stand und sich zu uns hinunterbeugte. Er war hager und dunkel gekleidet und hatte eine weiße Strähne in seinen schwarzen Haaren über dem rechten Auge. Er sah menschlich genug aus, aber der Ausdruck in seinen dunklen Augen erinnerte mich an den Jenseitigen, genauso emotionslos und unbeteiligt, beinahe kalt. Zuerst begriff ich es nicht ganz, aber dann verstand ich, dass der Jenseitige sich neu in der Gestalt Nakurs manifestiert hatte, so wie er Yonann im Rotberg erschienen war. Damals hatte ich ihn nicht wahrnehmen können und als sie mir davon erzählte, hatte ich es wie sie für einen Traum gehalten.
Jetzt streckte er einen Arm seitlich aus und bedeutete Yonann näher zu kommen. Sie starrte ihn bewegungslos an, nur ihre Unterlippe zitterte und ihre Finger verkrampften sich ineinander. Er hielt ihr seine Hand hin und lächelte ganz unvermittelt und da war es, als hätte es den Jenseitigen nie gegeben und als wäre es wirklich der wahre, lebende Nakur, der dort stand. Yonann kam zu uns und legte einen Arm um den Traumbruder. Ihr Gesicht war sehr bleich und ihr Atem ging schnell und zu flach. Nun schloss sie die Augen und verzog das Gesicht, als wollte sie weinen.
„Ich kann nicht…“ flüsterte sie.
„Schschsch... Hab keine Angst.“ Nakur legte eine Hand sanft auf ihr Haar und die andere auf die knochige Schulter des Traumbruders. Ich hörte seine Stimme nur in meinem Kopf, so wie bei dem Jenseitigen. Yonann tastete blind nach meiner Hand und atmete tief ein.
Nakur sah mich an, wie in stummer Aufforderung und ich zwang mich dazu meine Gedanken zu sammeln. Schon zweimal zuvor waren die Ritualworte für meinen toten Zwilling in meinem Beisein gesprochen worden, ohne Sinn, wie sich später herausstellte, da Aridys nicht tot gewesen war und mein richtiger Zwilling niemals gelebt hatte. Jetzt war es an mir, endgültig Abschied zu nehmen, von meiner erwählten Schwester und ihrem wahren Bruder. Ich räusperte mich verzweifelt und begann stockend das Gebet zu sprechen.
„Bal, Ann und Wyr,
Herrscher über Leben, Tod und Schicksal,
seht meine Schwester,
seht ihren Bruder.“
Meine Stimme wollte mir erst nicht ganz gehorchen.
„Yl, heiliges Gottespaar, Zwei-in-Einem,
Herrscher über Traum und Wirklichkeit,
Vater und Mutter meines Volkes,
sieh meine Schwester,
sieh ihren Bruder.“
Yonanns Hand krampfte sich um meine und sie sprach mir fast unhörbar die Worte des Rituals nach.
„Geleite und beschütze sie,
nimm sie zu dir in dein Traumreich.
Siehe, ich gebe sie in deine Hände.
Dein Wille geschehe.“
Die Flamme erschien, als Aridys Atem versiegte, dort, wo Yonann den Traumbruder umfasst hielt. Er schien es nicht einmal zu merken, wie das Feuer auf ihn überging. Kein Laut war von ihm zu hören, als die Flamme seine Haare ergriff und sich über ihn ausbreitete, immer höher und heller wurde. Anders als bei Aridys im Rotberg bildete sich keine weißglühende Flammensäule, stattdessen schien der Traumbruder eins mit dem Feuer zu werden, bis sich nur noch eine einzige wabernde, hell scheinende Flamme zwischen uns erhob. Ein paar Herzschläge lang brannte sie, dann sank sie in sich zusammen und verschwand. Von dem Traumbruder blieb keine Spur zurück.
Und auch Nakur und/oder der Jenseitige waren verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Um uns war es wieder dunkel wie zuvor, die Höhle nur von den Fackeln und Öllampen auf den Felsen erleuchtet. Yonann öffnete die Augen und blickte verständnislos um sich. Auch an ihrem Körper war kein Flämmchen mehr zu sehen.
„Wo ist er?“ fragte sie heiser. „Ist er … auch verbrannt?“
„Nakur? Der Jenseitige?“ Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Nein, denk das nicht. Er ist wieder … fort. Nur der Traumbruder ist … verbrannt. Er ist tot.“
Yonann starrte mich an, dann senkte sie den Blick auf meine Schwester und schluckte. Aridys Kopf war nach hinten gesunken. Ihre Augen hatten sich halb geöffnet, aber nur das Weiße darin war zu sehen. Yonann drückte die Lider sachte wieder herunter. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen – ich ahnte auch schon was: wie weh es ihr tat, dass meine Schwester tot war – aber sie kam nicht mehr dazu. Stimmen und schwere Schritte näherten sich uns und dann kamen meine Schwestern in die Höhle gestürmt, mit Lampen und Fackeln, und mit gezogenen Schwertern.
Während zwei Gardisten den Eingang und die Höhle sicherten, kamen Growyn und Rynkan zu uns. Rynkan blieb bei der Leiche der Magierin stehen und vergewisserte sich, dass sie wirklich tot war. Growyn kauerte sich vor uns nieder und starrte verständnislos auf Aridys.
„Großer Drachen, was haben sie ihr angetan?“ flüsterte sie heiser. „Oh Yenda…“
Ich antwortete nicht. Rynkan kam und meine Schwestern nahmen je eine Hand von Aridys in ihre Hände und verharrten so einen Moment schweigend.
Growyn strich zärtlich über Aridys’ Kopf. „Wir haben ihr Haar gefunden“ sagte sie unvermittelt. Yonann schaute sie verwundert an. „Es lag in einer Truhe in der Hütte… Wir werden es mitnehmen. Sonst erkennt man sie ja nicht mehr…“ Sie brach ab und unterdrückte ein Schluchzen.
Ein Gardist brachte eine Trage, die unweit von dem Felsen gelegen hatte, auf dem die Magier ihre Beschwörung abgehalten hatten. Vermutlich war Aridys damit in die Höhle getragen worden, als sie nicht mehr selbst laufen konnte. Wir betteten Aridys darauf und meine Schwestern ließen es sich nicht nehmen, sie aus der Höhle zu tragen, während ich nebenher ging und Aridys Hand hielt. Yonann ging hinter mir.
Kurz vor der Brücke stießen wir auf den Magier. Er lag mit ausgestreckten Armen auf der Seite, den Kopf nach hinten geworfen. Die Brandspuren auf seinem Gesicht waren wieder verblasst. In seinem Hals steckte ein Armbrustbolzen, der ihm das Genick durchschlagen hatte.
„Farlyn“ sagte Rynkan grimmig und nickte mit dem Kopf zur Brücke, wo die Myrial regungslos Wache stand. „Wir überquerten die Brücke, als der Weg dahinter sichtbar wurde. Dann kam er plötzlich schreiend angerannt, wie aus dem Nichts, und er sah aus, als wäre er tollwütig, und Farlyn schoss auf ihn. Sie ist unsere beste Armbrustschützin. Mir wäre allerdings lieber, wir hätten ihn lebend nach Hause bringen können.“
„Mir nicht“ sagte ich müde. „Es ist besser so. Ich danke euch, Myrial, das war ein guter Schuss. Ihr habt uns viel Ärger erspart.“
Die Myrial lief rot an und verbeugte sich stumm.
„Er hätte aber vor Gericht gestellt werden müssen!“ sagte Rynkan scharf. „Nach alldem was er angerichtet hat, ist er viel zu leicht davongekommen.“
„Glaub das nicht“ sagte Yonann. „Außerdem wäre er sowieso gestorben. Die Magierin war seine Zwillingsschwester.“ Rynkan öffnete den Mund, sah mir ins Gesicht und klappte ihn wieder zu. Wir gingen schweigend weiter, über die Brücke und weiter auf dem Bretterweg zum Höhlenausgang. Schon von weitem sah ich das Tageslicht und wollte es nicht glauben.
„Wie lange waren wir in der Höhle?“
Growyn sah grimmig drein. „Nicht so lange wie im Rotberg, aber lang genug. Fast zwei Tage, Yenda. Kannst du dir vorstellen, wie uns zumute war? Wir haben wieder und wieder die Höhle abgesucht, aber ihr wart einfach nicht zu finden. Wir dachten, ihr wärt verloren.“
Es gab nichts, was ich darauf hätte sagen können und so schwieg ich. Draußen vor dem Eingang schien die Sonne. Es war helllichter Tag, um die Mittagszeit, und als ich die Wärme und die frische Luft an meinem Gesicht spürte, fühlte ich mich auf einmal unendlich müde. Yonann schien es genauso zu gehen, ihr Gesicht war grau und sie hatte dunkle Schatten unter den Augen.
Meine Schwestern trugen die Bahre vorsichtig die Rampenstufen herunter.
„Die Ylmun und ihre Zwillingsmütter sind mit Rika zum Hof zurückgekehrt“ sagte Rynkan. „Sie wollten nicht mehr warten. Ich habe ihnen Frelda mitgeschickt, sie hat schon bei einigen Geburten geholfen.“
„Was ist mit den Schneekriegern?“ Yonann konnte kaum ein Gähnen unterdrücken. Growyn zuckte mit den Schultern.
„Die beiden Männer sind tot. Einer starb im Kampf und der andere war am nächsten Morgen tot, einfach so. Wir wissen noch nicht, warum.“
„Sie waren Zwillingsbrüder“ sagte ich tonlos. Meine Füße waren bleischwer.
„Aber trotzdem, sie waren doch Kyakadrin, nicht wie wir…“
„Doch. Genau wie wir. Ich erkläre es euch später.“
„Und die Frau?“ fragte Yonann. „Die Leibwächterin – sie sah ylkanisch aus?“
Rynkan schüttelte den Kopf. „Sie konnte fliehen. Ich hab zwei Gardisten hinter ihr hergeschickt, aber vermutlich ist sie schon über alle Berge. Ich hatte gehofft, wir könnten wenigstens ein paar von der Bande vor Gericht stellen lassen, aber nun müssen wir mit leeren Händen zurückkehren.“
Ich hielt Aridys’ Hand weiter fest, als sie die Trage auf dem Tisch vor der Hütte absetzten.
„Nein, nicht mit leeren Händen. Diesmal nicht. Diesmal bringe ich meine Schwester nach Hause.“

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