Lange habe ich die beiden anderen Bücher von Jasper Fforde zugunsten der genialen Thursday Next - Reihe sträflich mißachtet und konnte mich nicht entschließen, sie zu lesen. Dann bekam ich doch einen in die Hände - wie sich herausstellte, der 2. Band, aber das spielt hier keine große Rolle - und war schon nach wenigen Kapiteln restlos begeistert. Schon der Schauplatz der beiden Bände ist ein Wortspiel, denn die Stadt nicht weit von London wird zwar wie "Redding" ausgesprochen, aber schreibt sich Reading. Natürlich bleibt es nicht bei dem einen Wortspiel, sondern es wimmelt genau wie in den Thurday Next Romanen von Anspielungen und Verdrehungen, die die Bücher zu einem Alptraum für Übersetzer machen. Praktisch alle Bewohner dieser kleinen literarischen Welt haben ihren Ursprung in der Literatur oder zumindest Fiktion, bunt gemischt aus allen Genres, auch Märchen, Kinderbüchern und Nursery Rhymes. Folglich gibt es auch eine Spezialabteilung bei der Polizei, die für solche Fälle wie den Mord an Cock Robin, der "Stroh-zu-Gold"-Betrugsmasche von Rumpelstilzchen oder der Gewalt in der Ehe von Punch und Judy zuständig ist: die Nursery Crime Division oder kurz NCD. DI Jack Spratt, der lange nicht wahrhaben will, daß er selber einen literarischen Hintergrund hat und seine ebenso treuen wie exzentrischen Mitarbeiter tun ihr Bestes um Verbrechern wie Giorgio Porgia, den Gingerbreadman (der hier stark an Hannibal Lecter erinnert), oder dem psychisch gestörten Schneider mit seiner Daumenfixation das Handwerk zu legen. Während dem NCD zu Beginn des ersten Bandes noch die Schließung droht, gelingt es DI Spratt mit der erfolgreichen Aufklärung des Mordes an Humpty Dumpty - dessen tragischer Tod zunächst wie ein Unfall erscheint und sich schließlich als Mord mit mehreren Mördern und ebensovielen Todesursachen entpuppt - sich Anerkennung und Respekt zu verschaffen und als ernstzunehmende Polizisten zu etablieren. Ich freue mich jetzt schon auf den dritten Band ...

Regina und ich sind nicht nur Schwestern im Geiste, wir werden auch oft für echte Schwestern gehalten. Gestern, auf dem Weg nach Amsterdam, erlagen zwei sehr fidele und zufälligerweise echte Schwestern diesem Irrtum. Spätestens am Ziel der Reise gab es vermutlich niemanden mehr im Abteil, der nicht bestens über ihr Leben und ihre Ansichten informiert war, aber es half auf jeden Fall die lange Fahrt rumzubringen. Und dafür, daß wir den Zug zwei Stunden später hatten nehmen müssen, weil der erste ganz unverhofft gestrichen wurde, konnten sie ja nichts. Nichtsdestotrotz wurde es ein schöner Tag, sogar das Wetter spielte wider Erwarten mit, wir verbrachten eine interessante und lehrreiche Stunde im historischen Museum, wo die einzelnen Abschnitte der Stadtgeschichte auf drei Stockwerke verteilt sind und durch einen Rundgang anschaulich abgegangen werden können, und Zeit für leckere Pfannkuchen war danach auch. Und natürlich für den ABC, den ich auch nur wieder ziemlich schwerbeladen verlassen konnte. Wie letztes Jahr waren es sieben Werke - scheint mein persönliches Limit zu sein - und davon waren fünf Comics, weil ich mich ein wenig mehr damit beschäftigen will. Einen davon, Alan Moore's "The Hypothetical Lizard" verschlang ich schon auf der Heimfahrt, weil ich mich von dieser eleganten, unaufgeregt-kühlen und sehr grausamen Geschichte nicht losreißen konnte. Das chinesische (und neuerdings klingonische) Sprichwort "Revenge is a dish best served cold" ging mir bei der Lektüre nicht aus dem Sinn. Noch viel faszienierender als die Rachegeschichte ist die zwangsweise unbeteiligte Beobachterin und eigentliche Hauptperson Som-Som, und ich hoffe, daß es von ihr noch mehr Geschichten geben wird.

Eigentlich muß dieses Buch ja nur enttäuschen. Sei es ob man es liest, weil man eingefleischter Lecter-Fan ist oder nur, weil die vorhergehenden Bände gute Unterhaltung boten, es kann einfach nicht reichen. Der junge Hannibal ist nicht ein Bruchteil so interessant wie der erwachsene Doktor als voll entwickeltes Monster und weder das schreckliche Ereignis in seiner Kindheit, das das Monster in ihm wenn nicht hervorruft, so doch auf jeden Fall freisetzt, noch der Rachefeldzug, der sich über lange Jahre seiner Jugend hinzieht, taugen wirklich als Spannungsmoment. Zuviel wurde im vorletzten Band 'Hannibal' schon vorweggenommen, außerdem irritiert zusätzlich, daß Harris einige Änderungen vornehmen mußte, um den Zeitrahmen anzupassen. So ist Hannibal hier nicht 6 Jahre alt, als seine Schwester Mischa umkommt, sondern schon 13, und ich vermute fast, daß dies nicht die einzige Änderung ist. Schade ist es auch um die andere Hauptperson in dem Buch, die wunderbare Lady Murasaki, daß sie so sang und klanglos am Ende des Buches verschwindet, wie bewußt aus Hannibals Gedächtnis gelöscht - was bei Art und Umfang seines "Memory-Palace" recht merkwürdig anmutet. Dennoch, an und für sich, unter Außerachtlassung der Vorgängerbände, ist 'Hannibal Rising' ein gutes und lohnendes Buch, so fesselnd und informativ wie alles von Harris geschrieben. Es mag ja sein, daß es ein Auftragsbuch ist, unter dem Druck der Verleger oder Fans geschrieben oder weil er das Gefühl hatte, er schuldet uns noch ein Buch - dafür ist es aber doch angemessen gut geworden. Und ob es wirklich der Abschluß der Lecter-Serie sein wird, who knows?

Whew. Nach der langen frustrierenden Odyssee von Harry, Hermione und (mit einigen Unterbrechungen) Ron durch die Lande auf der verzweifelten und frustrierenden Suche nach den Horcruxen und den Deathly Hallows (jetzt bin ich mal gespannt, wie das ins Deutsche übersetzt werden wird - ich würde es ja mit 'Heiligtümer des Todes" oder "tödliche Gaben" versuchen) und den Lösungen für die immer verwirrenderen Hinweise und rätselhaften Enthüllungen kam der finale Showdown in Hogwarts als echte Erleichterung. Auch wenn J.K. Rowling natürlich gegen Ende eine wahre Blutorgie anrichtet - *seufz* - von wegen es sterben zwei Hauptcharaktere, die tatsächliche Liste ist viel länger, und auch ohne genaues Datum *grummel*. Überhaupt geht es immer düsterer in dem Buch zu, ich habe mittlerweile echte Zweifel, daß die Verfilmung noch als Kinderfilm durchgehen kann. Aber das Gute siegt (selbstredend) und es gibt ein Abschlußkapitel, das ganz hart an der Grenze des Kitschigen entlangschrappt .. aber nur fast. Alles im allen ein ordentlicher Abschluß für die Serie und hoffentlich ein Ende des ganzen Potter-Hypes. Hoffentlich.

Vorab erstmal ein Fazit unseres diesjährigen Urlaubs auf Terschelling, wo unsere Erwartungen noch übertroffen wurden und wir 12 wunderbare Tage mit radfahren und strandwandern verbrachten. Zugegebenermassen waren auch zwei Regentage dabei, die sich aber dank des veränderlichen Inselwetters gut verkraften liessen - und die ganzen seltenen Pflanzen wollen ja schließlich auch leben. Und weil man auch nicht den ganzen Tag auf dem Rad verbringen kann, und der nächste Internetanschluss zu weit entfernt war, um einfach zwischendurch mal online gehen zu können, fand ich fast jeden Tag etwas Zeit für die drei mitgebrachten Bücher:
"Lisey's Story" von Stephen King. Ich lese King seit den späten 70ern, als es "erst" ein halbes Dutzend Bände von ihm gab und freue mich immer wieder neu, daß er in all den Jahren nie stehengeblieben ist, sondern seine Geschichten immer komplexer und tiefgreifender werden (von Ausnahmen wie "Cell" mal abgesehen - das sind wohl eher Zugeständnisse um die Hardcorefans nicht ganz zu vergraulen) und man ihn immer wieder neu für sich entdecken kann. Lisey's Story ist wie ein Zerrspiegel seiner eigenen Geschichte angelegt, bzw. der seiner Ehe, wie es hätte sein können, wenn er und seine Frau Tabitha wie Lisey und Scott wären. Da gibt es oberflächliche Übereinstimmungen - Scott, der gefeierte Bestsellerautor hatte einmal einen älteren Bruder und Lisey ist die jüngste von 6 Schwestern - aber das sind nur Grundlagen, auf denen die Geschichte aufbaut und ihr den so überzeugenden realistischen Rahmen gibt, der die seltsamen Geschehnisse, bzw. die dunkle Seite der Beziehung von Scott und Lisey so glaubhaft und bewegend macht. Ich konnte mich kaum von dem Buch losreissen, so daß ich es in fünf Tagen durch hatte - ganz beachtlich, wenn man bedenkt, daß mir jeden Tag nur höchstens anderthalb Stunden zum lesen blieben.
Das zweite Buch war eine Leihgabe und Empfehlung von Regina: "The Golden Compass" von Philip Pullman. Schon der erste Satz schlug mich in seinen Bann: "Lyra and her daemon moved through the darkening hall..." Selbst nachdem sich herausstellt, daß in dieser Welt jeder Mensch einen eng mit ihm verbundenen Daemon in Tiergestalt hat - wie eine Art externe Ausdrucksform des Ichs, ein untrennbarer Teil des Selbsts, der mit dem jeweiligen Menschen entsteht und stirbt - tut das der Faszination keinen Abbruch. Pullman entwickelt die Geschichte konsequent weiter, indem er nicht nur diese Daemons als völlig selbstverständlich und in den Alltag integriert beschreibt, sondern dann auch immer weiter aufdeckt, was für grausame Konsequenzen die Trennung des Daemons von seinem Menschen hat. Ganz ähnlich wie die Bartimaeus-Reihe von Jonathan Stroud als Kinderbuch konzipiert bietet es auch dem erwachsenen Leser befriedigende Lektüre. Die beiden Folgebände aus der Reihe "His Dark Materials" stehen bei mir ganz oben auf der Anschaffungsliste.
Bleibt noch das dritte Buch, ein früher Krimi von Jenny Siler, "Iced". Wieder mit einer starken, abgebrühten und neutralen Protagonistin erinnert es - zum Glück - mehr an "Easy Money" als an "Shot", Silers bisher schwächsten Buch. So gut wie Flashback ist dieser Band nicht, aber er hat einiges zu bieten, wie z.B. ein eher ungewöhnlicher Handlungsort im winterlichen Montana und ein konsequenter Verzicht auf ein Happy Ending - wer braucht das auch schon?
Anzumerken wäre noch, daß anscheinend 3 Bücher - oder vielleicht 4, da Lisey's Story doch recht umfangreich ist - eine gute Zahl für Urlaubslektüre ist. Ich jedenfalls bin ganz gut damit gefahren.

Und schon wieder hat Regina mich auf einen neuen Süchtigmacher gebracht: Stuart MacBride, ein vielversprechender Krimiautor aus Schottland - daß er Schotte ist, genügt angesichts seiner vielen erfolgreichen Kollegen ja schon fast als Qualitätssiegel. Und was mehr ist, er verdient dieses Siegel uneingeschränkt. In Cold Granite und Dying Light, die beide in Aberdeen angesiedelt sind (wie erfrischend mal eine andere schottische Großstadt durch einen Krimi kennenzulernen, nach den vielen Beschreibungen von Ian Rankins Edinburgh) präsentiert er Verbrechen, die so bizarr wie realistisch wirken und Kriminelle aller Art, darunter sogar Serienkiller, die erstaunlicherweise originell wirken und nie, als wäre man ihnen schon dutzendweise begegnet. Vielleicht weil MacBride auf das beliebte Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei weitgehend verzichtet und sich auch nicht mit Beweismaterial und Täterprofilen aufhält, sondern stattdessen auf solide Ermittlungstätigkeit und Spürsinn baut. Die Hauptperson ist denn auch alles andere als ein verkannter einsamer Held, sondern im Gegenteil ein ganz normaler Detective Sergeant, ein guter Polizist und Teamplayer, der aber auch öfter mal etwas vermasselt, der von seinen Vorgesetzten mal als Sündenbock und mal als Vorzeigepolizist benutzt wird und dessen Erfolge immer glaubhaft bleiben, also eine Figur, mit der man sich voll und ganz identifizieren kann. Und zu all diesen guten Zutaten kommt noch MacBrides trockener, erdiger Humor, nicht zuviel und nicht zuwenig, sondern genau richtig um alles abzurunden. Wenn die beiden nächsten Bände genau so gut sind, dann alle Achtung.
Und ja, meines Erachtens braucht sich das Tourist Board von Aberdeen keine Sorgen zu machen, trotz - oder gerade wegen? MacBrides von Haßliebe geprägter Beschreibung der Granite City reizt mich die Stadt jetzt schon ... und bestimmt nicht nur mich.

Noch hab ich das Buch nicht ganz ausgelesen - der Endspurt von den letzten 50 Seiten oder so sollte aber bis morgen geschafft sein - aber für mich ist der dritte Band der Javier Falcón Serie von Robert Wilson schon jetzt der beste. Nicht nur wegen des brisanten, daueraktuellen Themas von religiös motivierten Terrorismus - internationalem, aber hier vor allem lokalen, also in Spanien - sondern auch wegen der Art, wie ein halbes Dutzend Handlungsstränge zunächst parallel laufen und dann immer mehr miteinander verflochten werden, wobei jeder einzelne so spannend bleibt, daß man ihn nicht zugunsten eines anderen überspringen mag, wie es mir bei anderen Büchern mit der gleichen Struktur so oft passiert. Selbst Consuelos Leidensgeschichte, obwohl sie nur marginal mit den Geschehnissen in dem Roman zu tun hat, fesselt ungemein, genau wie das Drama um Falcóns Exfrau Ines. Die beiden Geschichten bilden zu der Haupthandlung um die Aufklärung eines Mordkomplotts und eines Bombenanschlags in Sevilla ein Gegengewicht, das den Roman auf befriedigende Weise abrundet. Jetzt wünschte ich irgendwie, daß das Buch noch ein wenig dicker wäre - oder das der nächste Falcón nicht mehr lange auf sich warten lässt ..